Es grünt so grün . . .

. . . wenn neue Grundsätze blühen. Die Grünen verabschieden sich mit ihrem neuen Grundsatzprogramm endgültig vom Image der Anti-Parteien-Partei. Und setzen doch auf die alten Werte: Ökologie, Selbstbestimmung, Demokratie, Gerechtigkeit

von JENS KÖNIG

Was macht eine Partei, deren Programm über zwanzig Jahre alt ist? Sie schreibt einfach ein neues; wobei das Wort „einfach“ ein glatter Euphemismus ist. Parteien beschäftigen sich nicht gern mit Grundsatzprogrammen. Erstens liest sie kaum einer, zweitens braucht sie kaum einer. Trotzdem können sie den Parteien einen heftigen Streit über ihre eigene Identität bescheren.

Was macht eine Partei, deren Programm über zwanzig Jahre alt ist, die einige ihrer alten Werte dennoch nicht für überholt hält? Sie schreibt trotzdem ein neues Grundsatzprogramm. Sie erfindet sich neu, hält aber an ihrem Gründungsmythos fest.

Was machen die Grünen? Sie tun genau das: Sie schreiben ein neues Grundsatzprogramm; ihr altes stammt von 1980, aus dem Gründungsjahr der Partei. Sie nehmen in dem neuen Programm radikal Abschied von ihrem alten Weltbild. Trotzdem bleibt die Ökopartei eine Ökopartei – allerdings eine ganz andere, als sie früher einmal war.

Die Grünen haben noch vier Monate Zeit, um an ihrer Neuerfindung zu arbeiten. Ihr neues Programm soll im November auf dem Parteitag in Rostock verabschiedet werden. Einen ersten Entwurf stellt die Programmkommission der Öffentlichkeit allerdings schon am Montag vor.

Schon an diesem Papier kann man gravierende Änderungen im Selbstverständnis der Grünen ablesen. Das liegt daran, dass der Grundsatzkommission der gesamte Bundesvorstand sowie wichtige Mitglieder der Partei angehören. Außerdem konnten alle maßgeblichen Politiker der Grünen, die drei Bundesminister eingeschlossen, Einfluss nehmen. Heute wird die Grundsatzkommission den Programmentwurf endgültig beschließen. Dieser wird dann am Montag jedem Parteimitglied zugeschickt.

In dem Entwurf nehmen die Grünen Abschied von ihren Ursprüngen. Sie verstehen sich nicht länger als eine „Anti-Parteien-Partei“, woran angesichts der Entwicklung der Grünen in den letzten Jahren, einschließlich ihrer Regierungsbeteiligung, sowieso niemand mehr geglaubt hat. Sie bezeichnen sich jetzt als „die Alternative im Parteiensystem“. Sie seien, heißt es, eine „Partei der gesellschaftlichen Erneuerung“. Sie werde nicht von Ideologie, sondern von Grundwerten zusammengehalten.

Diese Grundwerte sind: Ökologie, Selbstbestimmung, Demokratie und Gerechtigkeit. „Es gibt eine grüne Lesart dieser Werte“, steht in der Präambel des Entwurfs, „und erst dies macht uns als Partei unverkennbar.“ Das Wiedererkennungsmerkmal für die Grünen ist und bleibt die Ökologie. Sie erhielt in der Programmkommission als Grundwert den Vorzug gegenüber dem etwas sperrigen Begriff Nachhaltigkeit. „Grünes Denken ist von Anfang an ökologisches Denken“, heißt es in dem Papier.

Auch in einzelnen Politikfeldern passen die Grünen ihr Programm an die Realitäten an. An manchen Stellen gehen sie allerdings über ihr Regierungshandeln hinaus. Die Ablösung der Atomenergie durch alternative Energien wird nicht mehr „sofort“ verlangt, sondern innerhalb einiger Jahrzehnte. Die Renten-, Pflege- und Krankenkassen sollen langfristig in umfassende „Bürgerversicherungen“ umgebaut werden. Ziel ist es, alle Einkommensarten an der Finanzierung der Sozialversicherungen zu beteiligen. Außerdem wird die Teilnahme der Bundeswehr an Kampfeinsätzen ausdrücklich als eine Möglichkeit deutscher Außenpolitik beschrieben. Die zivile Konfliktprävention soll jedoch Vorrang haben.

Grundsätzliche Änderungen am Programmentwurf werden nicht mehr erwartet – die Überarbeitung einzelner Punkte schon. Die Grundsatzkommission lädt die Mitglieder dazu sogar ausdrücklich ein. Bei einzelnen umstrittenen Fragen, etwa ob die Sozialversicherung beitrags- oder steuerfinanziert sein soll, stehen im Entwurf gleich zwei mögliche Antworten.