Mehr Chancen mit Zweisprachigkeit

Neues Gutachten: Wer auch muttersprachlich unterrichtet wird, lernt besser  ■ Von Kaija Kutter

Wer wird versetzt, wer bekommt einen Abschluss, wer nicht? Das Ende des Schuljahrs ist stets auch der Zeitpunkt für schlechte Nachrichten. Hamburgs Ausländerbeauftragte Ursula Neumann hat jüngst auf eine besorgniserregende Entwicklung aufmerksam gemacht. Die Zahl der Migrantenkinder ohne Abschluss ist viel zu hoch. Betrachtet man diese Zahlenkolonne über 20 Jahre, so ist sie zwar von gruseligen 42 Prozent im Jahr 1980 auf 15,8 Prozent im Jahr 1994 gesunken. Das alarmierende, so Neumann, sei, dass diese Zahl wieder steigt: zuletzt auf 21 Prozent. Dagegen sind diese Kinder beim Abitur mit 14 Prozent weit unterrepräsentiert.

Die Hamburger Schulbehörde hat ein Team von sechs Sprachwissenschaftlern beauftragt, die Ursachen zu erforschen. Ein entsprechendes Gutachten wurde am Freitag von Professor Hans Reich in der Hamburger Landesvertretung in Berlin vorgestellt. Zentrale Erkenntnis: Es macht keinen Sinn, „kompensatorisch“ nur die deutsche Sprache zu fördern. Kinder müssen auch in ihrer Herkunftssprache unterrichtet werden. Sie müssen diese nicht nur lernen, sondern auch im Fachunterricht als „Medium“ nutzen. Auch muss Deutsch als Fremdsprache beigebracht werden.

Geschieht dies über vier bis sechs Jahre, werden die Schulerfolge besser. „Ein Mathelehrer muss sich bewusst sein, dass er auch Deutsch unterrichtet“, erklärt Ursula Neumann, die Auszüge des Gutachtens in einer eigenen Stellungnahme verwandte. Aus Verständnisschwierigkeiten der Kinder dürften keine Lernschwierigkeiten werden.

Die Wissenschaftler schlagen ein differenziertes Vorgehen vor. Zunächst müsse der Sprachstand der Schüler bei Schuleintritt ermittelt werden, wie es Reich im Sommer 1999 erstmals in einer Erhebung unter 178 Hamburger Schulanfängern türkischer Herkunft machte. In 74 Prozent der Familien wurde ausschließlich oder überwiegend Türkisch gesprochen. Gleichzeitig bezeichneten 81 Prozent der Eltern es als „sehr wichtig“, dass ihr Kind Deutsch lernt. Reich unterteilte die Kinder nach dem Sprachtest in vier Gruppen. Jene, die „ausbalanciert“ Deutsch und Türkisch sprechen (47 Prozent), sollten gleichzeitig in beiden Sprachen Lesen und Schreiben lernen. Jene, die beides eher wenig beherrschen (8 Prozent), sollen in der ersten Klasse zunächst mündlich gefördert werden.

Jene dritte Gruppe von 37 Prozent, die überwiegend Türkisch spricht, soll – je nach Niveau der Zweitsprache – parallel oder nacheinander in Türkisch und Deutsch alphabetisiert werden. Das gilt umkehrt auch für jene 8 Prozent, die mehr Deutsch sprechen.

Die Sprachtests, so die Perspektive, sollen so vereinfacht werden, dass sie auf alle Grundschulen übertragen und in mehreren Sprachen angewandt werden können. Auch sollen verstärkt bilinguale Lehrer ausgebildet und eine „Didaktik der Mehrsprachigkeit“ entwickelt werden.

„Sprachbewußten Unterricht in allen Fächern“ und „koordinierte Sprachförderung“, was die Forscher fordern, wird unter der Regie des Instituts für Lehrerfortbildung von 85 Lehrern an 15 Schulen bereits gemacht. Neumann reicht dies nicht aus. Insgesamt gibt es für Sprachförderung rund 600 Stellen, die 50 Millionen Mark kosten. Über die Verwendung dieser Mittel müsse es eine „systematische Evaluation und Kontrolle geben“, sagt sie, da die Gefahr bestehe, „dass diese in die Grundversorgung gehen“.

Für die parteilose Ausländerbeauftragte ist das Recht auf Zweisprachigkeit auch ein Wahlkampfthema. Hamburg hat dies 1997 im Schulgesetzes verankert. Ein konservativer Senat aber könnte dies wieder kippen nach dem Motto „Hauptsache Deutsch“.