Frondienst für Hertha BSC

Hertha 03 Zehlendorf schmiedete einst Fußballtalente wie Christian Ziege oder Carsten Ramelow. Doch seit Jahren stockt der Nachschub. Denn die Proficlubs kaufen die Talente zu früh weg

von MARKUS VÖLKER

Bayern München kommt gern nach Zehlendorf. Der Klub mag die Ruhe im schläfrigen Berliner Bezirk. Er schätzt die Diskretion des Landesligisten und das Angebot von sechs Fußballplätzen. „Unser Gelände geht bis da hinten, wo die Erdkrümmung anfängt“, sagt Manager Andreas Paul und zeigt zum Horizont. Ende November reisen die Bayern wieder an. Auf dem Vereinsareal von Hertha 03 macht sich der Meister locker fürs Match gegen die große Hertha.

Die Bayern-Spieler Niko und Robert Kovac kennen jeden Winkel in Zehlendorf. Sie dribbelten hier in der Jugend. Auch Christian Ziege, der jetzt für den FC Liverpool gegen die Pille tritt, kehrte schon mit den Münchnern zurück in seine Fußballvergangenheit. Hertha 03 schmiedete so manches Talent. Carsten Ramelow (Bayer Leverkusen) und Karsten Bäron (HSV) zum Beispiel. Und nicht zu vergessen: Pierre Littbarski, jetzt Trainer beim MSV Duisburg. Doch die Produktion guter Spieler ist ins Stocken geraten. Aber weshalb?

„Die Zeiten sind vorbei, wo das Geld auf dem Tresen lag“, sagt Manager Paul. 50 Mannschaften müssen unterhalten werden. 32 Teams spielen in der Jugend, also über 600 Nachwuchskicker. Pressesprecher Marco Lutz sagt, dass sie Mitte der Achtzigerjahre sogar in Europa führend waren. Mehr als ein Dutzend Auszeichnungen haben die 03er erhalten. Die Zehlendorfer Jugend machte Schule. Doch die Erfolge liegen weit zurück. 1989 stand die B-Jugend im Finale der deutschen Meisterschaft – und verlor gegen Bayern München. Dieses Jahr war nicht mehr drin als die Landesmeisterschaft der A-Jugend.

Die Westberliner Idylle zerbrach mit dem Mauerfall. Sponsoren wanderten in den Osten ab. Die Fußball-Landschaft kam in Bewegung. Die einsetzenden Verwerfungen schoben Zehlendorf an den Rand. Hertha BSC rückt dagegen ins Zentrum und setzt nun die Maßstäbe, weil der Verein ein Fußballinternat aufbaut, „Home of Hertha“ genannt. „Hertha arbeitet nur leistungsorientiert und macht uns die Preise kaputt“, sagt Paul.

Die große Hertha hat mit der kleinen einen Vertrag geschlossen. Der Kontrakt besiegle aber nur den Frondienst, den 03 ohnehin leiste. Motto der Kooperation: „Bildet uns die Spieler aus, die wir euch dann abnehmen.“ Paul beargwöhnt Herthas Jugendoffensive. „Das Internat ist doch nur Alibi, weil es denen vom DFB aufgezwungen wurde.“

Dennoch zieht es die Kids magisch an. Schon 14-Jährige entscheiden sich fürs Geld und gegen Zehlendorf. Weil anderswo nicht nur die Monatskarte für die S-Bahn bezahlt wird, wechseln die Talente früh. Zwar sind die ganz kleinen Bolzer noch heiß drauf, in Zehlendorf den Schlappen draufzuhalten. Doch wenn sie älter werden, ist der Klub nicht mehr angesagt. „Bis zur C-Jugend sind wir Spitze“, sagt Paul. Dann beginne „ein regelrechtes Wettrüsten“ unter den Berliner Vereinen. Jeder buhlt und lockt. Die Teenies erliegen den Angeboten, weil sie „Opfer ihres Egos“ werden, angestachelt von ehrgeizigen Eltern. „15-Jährige sind doch heute schon ambitionierte Profis, die glauben, dass sie mit Fußball Geld verdienen können.“ Zehlendorf wolle „diesen Poker“ nicht mitmachen. Das heißt: Sie können es gar nicht. Geld fehlt an allen Ecken und Enden.

Jürgen Röber weiß, dass sich das Blatt gewendet hat. „Früher sind die Jungs nach Zehlendorf gegangen, weil sie dort ne Mark mehr gekriegt haben“, sagt der Trainer von Hertha BSC. Heute rollt im Home of Hertha der Rubel. Und 03 blutet weiter aus: Der Zehlendorfer Thorben Marx (20) hat es in den Kader von Hertha BSC geschafft; Maximilian Sachse (16) wechselt zu Werder Bremen. 7.000 Mark wird Bremen überweisen. Auch Hertha muss Ausbildungskosten erstatten.

„Wir freuen uns immer, wenn einer von uns irgendwo einen Lizenzspielervertrag unterschreibt“, sagt Paul. Die Summe befreit kurzzeitig von der Sorge, wie das nächste Trainingslager bezahlt werden soll.

Christian Ziege übernahm in der letzten Saison die Kosten für die erste Mannschaft der B-Jugend. Aber weil sein Onkel nicht mehr im Ernst-Reuter-Sportpark an der Seitenlinie steht, riss der Kontakt ab. Dennoch: Ziege und Bayern München sorgen für Zulauf. Dariusz Wosz (VfL Bochum) und Torhüter Jens Fiedler (Hertha BSC) lassen ihre Fußballschule in Zehlendorf campieren. Am 23. Juli beginnt wieder ein Kurs. Auch Michael Rummenigges Talentschuppen gastiert im Berliner Westen. „Die sagen zwar, alles ein bisschen muffig hier, aber die Bedingungen überzeugen sie dann“, sagt Paul.

Neulich kam übrigens ein Anruf aus München. Hermann Gerland war dran. Bayerns Nachwuchschef suchte einen großen, schnellen Fußballer. Man musste ihm sagen: „Haben wir leider nicht.“ Die Großen und Schnellen sind längst woanders. Wahrscheinlich im Home of Hertha.