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: Pekings Sieg weckt weltweite Olympia-Gier

Seid glücklich und zahlt!

Einen Effekt hat die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Peking mit der Austragung der Olympischen Sommerspiele 2008 zu betrauen, ganz gewiss: Die Diskussion, ob Olympia der Demokratisierung des Landes förderlich oder hinderlich ist, wurde um sieben Jahre verlängert. Boykottaufrufe werden von nun an die Vorbereitungen ebenso begleiten wie hoffnungsvolle Appelle und großherrliche Goodwill-Adressen von chinesischer Seite. Die mit der Ausrichtung der Spiele verbundene Öffnung des Landes gegenüber der Welt werde „Fortschritte in Kultur, Gesundheit, Erziehung, Sport bringen und nicht zuletzt von Fortschritten im Bereich der Menschenrechte begleitet sein“, behauptet zum Beispiel Sportminister Yuan Weimin kühn und ungeniert.

In China selbst herrscht Sorge, dass die Konzentration auf das olympische Glück Pekings und seine Spiele den Fortschritt in anderen Bereichen und Landesteilen hemmt. „Jetzt, wo wir die Spiele gewonnen haben, könnten wir da vielleicht noch ein bisschen Geld für die ländliche Erziehung herausquetschen?“, wurde auf der Website von The People’s Daily ketzerisch gefragt. Chinesische Experten schätzen, dass die Kosten der für Olympia notwendigen Infrasrukturmaßnahmen 20 Milliarden Dollar betragen werden, ein Summe, die auch durch den für die nächsten Jahre prognostizierten olympiainduzierten Zuwachs im Tourismusgeschäft unmöglich wettgemacht werden kann. Sydney, Austragungsort der Spiele 2000, rechnet damit, dass Olympia im Zeitraum von 1996 bis 2006 vier Milliarden Dollar zusätzlich in die Kassen fließen lässt. Drei Millarden betrugen die olympischen Ausgaben.

Peking dagegen gedenkt die Stadt vollkommen umzukrempeln. Geplant sind ein riesiges Olympiagelände mit 15 Sportarenen, ein großes Olympisches Dorf, zwei Autobahnringe um die Stadt, neue Bahnlinien, eine Verdoppelung des U-Bahn-Netzes, die Verlagerung kohlebetriebener Fabriken an den Stadtrand, die Umrüstung von 20.000 Bussen von Diesel auf umweltfreundlicheren Kraftstoff. „Be happy and pay the deficit“, wie der inzwischen verstorbene Leichtathletikpräsident Primo Nebiolo einst der Stadt Stuttgart zur WM 1993 riet, gilt auch hier. Wie viele Olympiastädte zuvor, zuletzt Barcelona und mit Sicherheit Athen, wird Peking kräftig draufzahlen, verdienen tut allein das IOC, das in China die Spiele bekommt, die es am liebsten hat: solche mit staatlicher Garantie.

Eigentlich sollten derartige Rechenspiele eine Mahnung sein für potenzielle Nachfolger, doch das Gegenteil ist der Fall. Kaum war Peking gekürt, erhob sich Jubel in den USA und in Europa, besonders auch in Deutschland. Wenn Asien 2008 Ausrichter ist, steht die Tür offen für uns, heißt der Glaube; die euphorischen Stimmen aus Leipzig, Stuttgart, Düsseldorf und Frankfurt waren nach der IOC-Entscheidung schneller getickert als die der Chinesen. Neben den bisherigen deutschen Interessenten heben plötzlich auch Hamburg und Berlin ihr Haupt, die Versuchung für Provinzpolitiker, sich über das Vehikel Olympia zu profilieren, scheint ungebrochen. Da spielt auch keine Rolle, dass Sydney nur deshalb erfolgreich wirtschaften konnte, weil ein Großteil der nötigen Infrastruktur vorhanden war, und auch nicht die Tatsache, dass sich in Athen die veranschlagten Kosten von vier Milliarden Mark bereits jetzt verdoppelt haben.

Die Chancen, die Spiele tatsächlich zu bekommen, sind allerdings sehr gering. Die Querelen um diverse Stadionneubauten für die Fußball-WM sind keine Empfehlung, und das IOC ist nicht so leicht zu übertölpeln wie die Fifa. Außerdem sind Olympische Spiele beileibe kein Vehikel, mittlere Großstädte zu sanieren und international bekannt zu machen, sondern eine Angelegenheit von Metropolen. Als Kandidaten für 2012 werden u. a. Städte wie New York City, San Francisco, London, Madrid, Los Angeles und Moskau gehandelt. Topfavorit dürften jedoch, wenn sie sich wieder bewerben, zwei Städte sein, die jetzt an Peking scheiterten. Paris, zuvor schon im Wettstreit um die Spiele 1992 gegen die Samaranch-Heimatstadt Barcelona unterlegen, und Toronto, das bereits 1996 Atlanta den Vortritt lassen musste.

Berlin, nach dem Debakel von 1993, als man nur sieben Stimmen für 2000 bekam, ohnehin schwer gebrandmarkt, versetzte sich gleich wieder selbst einen Dämpfer. „Zu der Frage kann ich mich erst äußern, wenn man absehen kann, ob wir damit Geld verdienen können oder uns das noch weiter in den Ruin treibt“, sagte Bürgermeisterkandidat Gregor Gysi. Einen derartigen Mangel an olympischem Idealismus sieht das IOC bei anderen gar nicht gern. MATTI LIESKE