Raubbau für den Weltmarkt

aus Mato Grosso GERHARD DILGER

Das Foyer des „Hotel Fazenda Mato Grosso“ im brasilianischen Cuiabá ist ein Marktplatz der grünen Möglichkeiten: Neben indianischem Kunsthandwerk wird Biohonig aus Amazonien feilgeboten, Umweltgruppen, die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) und die Weltbank werben für ihre Projekte im Rahmen des Programms zum Schutz der brasilianischen Tropenwälder, kurz: PPG-7 (siehe Kasten). Brasiliens Umweltministerium hatte in die Hauptstadt des Bundesstaats Mato Grosso geladen. Brasilianische Ökoaktivisten, Regierungsfunktionäre, Unternehmer und Wissenschaftler zogen eine Zwischenbilanz des weltweit größten Waldschutzprogramms, das seit 1995 in Amazonien und im Atlantischen Regenwald umgesetzt wird.

So viel wird auf dem Treffen klar: Die Erfolge von PPG-7 verblassen angesichts des ungebrochenen Wachstumsfetischismus der Regierung Cardoso, die mit ihrem Infrastrukturprogramm „Avança Brasil“ – Vorwärts Brasilien – große Teile Amazoniens urbar machen will (siehe Kasten). Doch auch die wuchernde Bürokratie geht auf Kosten von PPG-7. Laut Indianersprecher Sebastião Machineri dauert es manchmal Jahre, bis zugesagte Mittel bei den Zielgruppen ankommen. 40 Prozent der Gelder, schätzt er, fließen in Verwaltungsausgaben oder an teure ausländische Gutachter. Positiv wertet er Projekte, bei denen eine schonende Nutzung des Waldes durch dessen Bewohner im Vordergrund steht, etwa durch agroforstwirtschaftliche Methoden (siehe unten).

Auch die Versuche, Brandrodungen zu stoppen, zeigen erste Ergebnisse. Jahr für Jahr fressen sich von Süden und Osten tausende Feuer in das Amazonasbecken. Mit seinen 1,7 Millionen Quadratkilometern ist dieser „Bogen der Zerstörung“ fast fünfmal so groß wie Deutschland. Die meisten Feuer sind Brandrodungen während der Trockenzeit. Denn um die Landfrage zu entschärfen, hat Brasília hier seit den Siebzigerjahren Millionen mittellose Kleinbauern angesiedelt. „Die Brandrodungen sind Traktor und Dünger des kleinen Mannes“, erklärt Jeancarlo Figueira von der Umweltorganisation Instituto Centro Vida. Doch mittlerweile gehen in einigen Gemeinden Bürgerinitiativen und Behörden gemeinsam gegen die Brandrodungen vor: Von Juli bis September herrscht in ganz Mato Grosso absolutes Feuerverbot. Satelliten identifizieren die Brandherde, und vor Ort werden immer mehr Übeltäter gestellt. Im Jahr 2000 sank so die Zahl der Brände deutlich. Doch viele Bauern roden nun eben einfach im Juni.

Marília Marreco vom Ministerium für Agrarentwicklung nimmt die Kleinbauern in Schutz. Für sie sind die Holz- und die exportorientierte Landwirtschaft die Hauptschuldigen an der Entwaldung: „Um den Kontrollen zu entgehen, haben sich die Holzfirmen auf die Strategie verlegt, viele relativ kleine Flächen abzuholzen.“

Im „Bogen der Zerstörung“, 500 Kilometer nördlich von Cuiabá, liegt Brasnorte. Der vor erst zwölf Jahren gegründete Ort lebt von der Holzwirtschaft. Vier von neun Gemeinderäten sind Holzunternehmer, Stihl-Motorsägen gehören zu den begehrtesten Artikeln in den Geschäften. In spätestens zehn Jahren sei dieser Boom vorbei, sagen die Lokalpolitiker, die Zukunft Brasnortes liege in der Landwirtschaft. Auf weitläufigen gerodeten Flächen südlich des Ortes grasen heute Rinder. Bald soll Soja angebaut werden – für den Export nach Europa, wo der Bedarf an dem eiweißreichen Viehfutter seit BSE rapide wächst.

Doch offensichtlich wird die Politik für Amazonien nicht vom Umweltministerium bestimmt. „Wir werden von den Kräften überrannt, die das alte Modell des Raubbaus verfechten“, räumt Umweltminister José Sarney Filho ein. Allein im Jahr 2000 wurden 20.000 Quadratkilometer Wald vernichtet – 15 Prozent mehr als 1999. Somit sind von den ursprünglich vier Millionen Quadratkilometern des brasilianischen Amazonaswaldes bereits 20 Prozent unwiderruflich zerstört. Zu den vehementesten Wachstumsverfechtern gehört Mato Grossos Gouverneur Dante Oliveira, Parteifreund des brasilianischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso. Auf dem Treffen in Mato Grosso sprach er ein freundliches Grußwort. Wohin die Reise aber wirklich geht, zeigen Hochglanzbroschüren seiner Regierung mit dem Titel „Es ist Zeit zu investieren“. Auf einer Karte sind die Großprojekte der nächsten Jahre verzeichnet: Wasser- und Landstraßen, Staudämme, Stromleitungen, Eisenbahnlinien, Hafenanlagen – alles Teil des milliardenschweren Regierungsplans Avança Brasil.

Vor allem der Ausbau der Nord-Süd-Achse zwischen Cuiabá und dem Amazonashafen Santarém zu einem Exportkorridor komme einer „strategischen Integration Amazoniens in den Globalisierungsprozess“ gleich, sagt Daniel Nepstad vom Amazonas-Umweltforschungsinstitut (IPAM). Die fehlenden 1.000 Kilometer der Straße BR-163, für Überlandlaster in der Regenzeit unpassierbar, würden nun rasch asphaltiert, kündigte Präsident Cardoso im März an. Dreieinhalb Millionen Tonnen Soja aus dem Norden Mato Grossos werden jährlich auf Umwegen transportiert – der Export über Santarém ergäbe eine Ersparnis von 60 Millionen Dollar, schätzen Sojaunternehmer. So lange setzen sie auf Vorratswirtschaft und errichten ein Silo nach dem anderen. In Santarém baut der US-Multi Cargill schon eine ultramoderne Hafenanlage.

Der Sojaanbau in der Region könne sich in den fünf Jahren nach Eröffnung des neuen Exportkorridors verdreifachen, hofft die Regierung. Schon bis 2004 sollen die wichtigsten 59 Brücken gebaut sein. In der Regenzeit, schätzt Daniel Nepstad, werden so die Transportkosten um 80 Prozent sinken. Mit der im Rahmen von Avança Brasil geplanten Asphaltierung von 6.200 Kilometern Straßen in Amazonien entstünden gleich mehrere „Kreisläufe der Zerstörung“: Sobald eine Urwaldstraße asphaltiert sei, setze die Entwaldung in einem Streifen von je 50 Kilometer Breite beiderseits der Straße ein. Die Satellitendaten vom Juni geben dem Forscher Recht: Die meisten Brandherde lagen im Umfeld der bereits asphaltierten Teilstrecke der BR-163.

Sollte an Avança Brasil in der jetzigen Form festgehalten werden, könnten in den kommenden 20 Jahren bis zu 42 Prozent des noch verbleibenden Amazonasregenwaldes verschwinden, fürchtet Philip Fearnside vom Nationalen Amazonasforschungsinstitut (INPA) in Manaus. Bereits heute sei die Entwaldung für drei Viertel der brasilianischen CO2-emissionen verantwortlich. Sein Wunsch an die Bonner Klimakonferenz: Im Rahmen des Kiotoprotokolls sollten Brasilien „vermiedene Abholzungen in Amazonien“ gutgeschrieben werden.