Große Freiheit Wilhelmshaven

■ Die Kaffeegäste in Karl-August Tapkens Kurhaus zu Dangast erlebten jetzt eine Lesung der anderen Art: Oldenburgs Slam-PoetInnen traten an, um Meerbrise zu schnuppern. Die Szene wächst übrigens – auch ohne Regen

Wir wollten endlich raus aus dem rauchigen Club, die Sonne sehen, Meeresbrise schnuppern – wir, die Oldenburger Slam-PoetInnen. Es lockte der Strand. Am Dangaster Steinphallus sollten die Worte in den Wind hallen, auf den Wellen davon treiben, bis nach Wilhelmshaven. Doch die „Lesung am Strand“ ging baden, und da es unmöglich war, bei derartigen Regenmengen auch nur eine Zigarette anzuzünden, zeigte sich Karl-August mal wieder verständnisvoll für die jungen Leute, die da Kunst machen wollen – auf seiner kleinen Enklave, dem Kurhausstrand in Dangast.

Karl-August Tapken ist der Wirt des Kurhauses – „schon ewig“, wie er sagt, denn seit 1883 ist das Kurhaus in Familienbesitz. „Gebaut wurde es 1793 vom Graf Benting zu Varel, als Sommersitz“, und als solcher wird es seit jeher von KünstlerInnen in Besitz genommen. Auch wir finden jetzt Zuflucht im überdachten Vorraum mit den Geranien vor dem Fenster.

Der Regen prasselt auf das durchscheinende, bemooste Dach aus gelblichem, gewelltem Kunststoff. Hier sitzen noch die letzten Kaffeegäste, die sich unversehens in einer Lesung der etwas anderen Art wiederfinden. Denn eigentlich schließt das Kurhaus um 19 Uhr, aber Karl-August überlässt uns die Theke, und Tobi (alias: Tobias Kirsch) verkauft zum Selbstkostenpreis mitgebrachte Getränke. „Slam ist eine basis-demokratische, antikommerzielle Geschichte“, sagt er immer wieder. Darum gibt es in Oldenburg auch keine Geldpreise, sondern so 'ne Fuffzigerjahre-Vase vom Sonderpostenmarkt: „Man kriegt halt nur Scheiß, wenn man gewinnt: Es geht uns schließlich um Trash.“

Tobi studiert Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt „Männerforschung“. Er ist das Zugpferd der Szene, hat sich viel in Hamburg rumgetrieben, in der „Hamburger Dogma“-Szene, im Laola Club, beim Lesen im Park. Bastian Böttcher aus Bremen und Stephan Boysen (inzwischen Ingeborg Bachmann-Preisträger) halfen ihm (neben Hartmut Prospiech aus Hamburg), Slam in Oldenburg zu etablieren.

Im Mai 99 flogen erstmals in der Kneipe „ConTakt“ die Wortfetzen über die Theke. Jetzt wird jeden letzten Sonntag im Monat im Jazz-Club Alluvium geslamt. Und eine neue Zeitschrift für Politik und Kultur ist aus diesem Dunstkreis auch erwachsen: Der Oldenburger Clubsessel erscheint unregelmäßig und zum Selbstkostenpreis. Den gibt es heute auch am Büchertisch, wo Shooting Stars der Oldenburger Szene ihre ersten CDs verkaufen – wie Mario, der oft mit Meister Propper in Bremen rumhängt. Heute lässt er sich über seine Geburtsstadt aus: „Wilhelmshaven, du soziales Hiroshima“. Bukowski ist tot, es lebe Mario, nichts ist vor seinem Zynismus sicher. Und den sollen die ZufallszuschauerInnen heute ganz locker genießen dürfen, bei einem Rest Rhabarberkuchen. Denn hier wird nicht gepunktet, sondern einfach entspannt gelesen, ohne Jury. Andreas macht den Anfang. In Oldenburg hat er schon mal den Slam abgeräumt, man kennt ihn. Hier in Dangast ist er auch zu Hause, denn er wohnt um die Ecke. Und er kennt sein Terrain genau, denn er besingt den Schlick der „gluckert, gluckst und gurgelt“. Heute ist er nicht so stark vorne, aber das macht uns nichts, es wird applaudiert, gejohlt, jeder, der sich überhaupt traut, zu schreiben, sich zu exponieren, ist willkommen. „Ich finde das 'ne prima Möglichkeit, mehr Leute zum Schreiben zu animieren“, erzählt Tobi zwischendurch. „Das kann auch zum Sprungbrett werden.“

Eine, die sich schon weit abgestoßen hat, ist Marlene. Sie war schon im Fernsehen, hat beim Bundeswettbewerb 2000 am Finale teilgenommen und ist oft in Bremen und Hamburg zu Gast. Marlene ist schon vierundsechzig. Sie schreibt Lyrik und gerade auch ihren ersten Roman. Heute ist ihr „Maulosof“ auf der Bühne unterwegs: „Wer kann mir erzählen“, ist seine stete Frage nach dem Verbleib der Prionen, die aus den Laboren der Welt in Gullis gespült werden. Marlene gibt dem Ganzen Rhythmus, sie bewegt sich im Duktus der Worte, und in den Medien heißt sie einfach „Rap-Oma“. Despektierlich, wie ich finde, denn wie die meisten Frauen in der Szene spielt sie in ihren starken Momenten eher auf der Klaviatur der leisen, poetischen Töne, mit einem seismischen Feeling für politische Schrägheiten. „Ich bin ziemlich nah am Wasser gebaut“, bekennt Marlene, „seit ich Slam mache, ist das besser.“

Nervös ist sie trotzdem vor jedem Auftritt, aber wenn man sich auf der Bühne bewegt, geht das weg. Jasper macht das, als totale Performance. Er schreit in's Mikrophon, da fliegen einem die Ohren weg. Also weg mit der Technik, er brüllt ohne weiter: „Ich find' euch Scheiße, jeder liebt nur sich, warum könnt ihr nicht so sein wie ich“ – Jasper ist siebzehn und will das Jahr zum Abitur schmeißen, Schauspieler werden. Alle wollen Jasper, er schmeißt den Laden heute, doch da sind auch noch Mario, Martin, Justus, Tobi und ich und Willi, der auch schon zittert. „Gib mir Fünf“, sag ich, er schlägt ein, geht nach vorne und erzählt wunderbar poetisch von Fährmanns Tochter, die ihn in's Boot nach Wilhelmshaven lockt, von wo es kein Zurück gibt. Wieder Wilhelmshaven. Da will keiner hin, nicht mal unsere Worte im Wind.

Marijke Gerwin

Mehr demnächst im Internet unter: www.slampoetry-oldenburg.de