Leckes Schiff, gut im Wind

Weltweit gibt es die Gratiszeitungen der skandinavischen Metro-Gruppe in 19 Städten – in 18 davon macht man bisher nur Verluste. Lediglich das Mutterblatt in Stockholm ist profitabel. Analysten warnen bereits vor einem „Unsicherheitsmoment“

„Metro hatüberexpandiertund könntesogar kippen“

aus Stockholm REINHARD WOLFF

Nicht nur in Köln wurde der „Zeitungskrieg“ von den wirtschaftlichen Realitäten erstickt, auch die Mutter aller kostenlosen Tageszeitungen schreibt auf internationaler Ebene tiefrote Zahlen.

Die Metro-Gruppe, die das Gratiskonzept 1995 in Stockholm erstmals erprobte, hat vor einigen Wochen Bilanzzahlen vorgelegt, die alle bisherigen Verlustprognosen weit übertreffen. Denn Metro wurde zwar mittlerweile in nahezu alle europäische Länder exportiert, auch in Nord- und Südamerika hat der skandinavische Exportartikel Fuß gefasst. Doch von den 19 verschiedenen Ausgaben, die der Konzern weltweit mit über 3,5 Millionen Auflage auf den Markt wirft, macht nur eine einzige Gewinn: das Original aus Stockholm. Hier traf die erste Metro auf unvorbereitete Konkurrenz. Die Mitwettbewerber hatten das neue Konzept schlicht unterschätzt und vorwiegend belächelt und waren erst aufgewacht, nachdem ein Viertel des Anzeigenvolumens abgewandert war – Richtung Metro, die sich in der schwedischen Hauptstadt mit rund 250.000 Exemplaren Auflage innerhalb weniger Monate als seither eifrig sprudelnde Gewinnmaschine etabliert hat.

Ansonsten aber gibt es nur rote Zahlen, rund 180 Millionen Mark betrug der Verlust im vergangenen Jahr. Von den schwedischen Schwesterausgaben in Göteborg und Malmö über Prag –dort sei man aber „ganz nahe an der Gewinnschwelle“, sagt Jens Torpe von Metro-International – bis Athen, Toronto und Santiago de Chile. Der Expansionsdrang bleibt: Montreal und Barcelona wurden im Frühjahr mit eigenen Metro-Ausgaben beglückt.

Doch auch die Ressourcen des hinter dem Metro-Konzern stehenden Medienimperiums des Schweden Jan Stenbeck, der vor allem mit Fernsehkanälen und Telekommunikation Geld macht, sind wohl nicht unendlich. Eine weitere Expansion soll erst einmal gebremst werden, Konsolidierung heißt die Devise. Auch wenn man das Ziel, aus Metro die größte Tageszeitung der Welt zu machen, nicht aufgegeben hat.

Metro hat überexpandiert und könnte sogar kippen“, warnt dagegen der schwedische Medienwissenschaftler Karl Erik Gustafsson. Und sagt allen internationalen Mitspielern auf dem Gratismarkt schwere Zeiten voraus: Auch wenn auf dem Papier vom Anzeigenmarkt bis zu den LeserInnenprofilen alles stimme, seien diese den eingesessenen nationalen Mitwettbewerbern deutlich unterlegen. Hierfür spricht, dass Metro es überall dort besonders schwer hat – oder gleich auf die geplante Markteinführung verzichtete –, wo ein einheimisches Zeitungshaus das Gratiskonzept kopierte. In Großbritannien (siehe Beitrag unten) und Belgien versperrten nationale Nachahmer den Markt für Metro fast vollständig, in den Niederlanden lassen diese das Blatt nicht aus der Verlustzone herauskommen. In den USA haben mehrere Gerichtsverfahren die Expansion gestoppt, zwei einheimische Zeitungshäuser gruben Metro-Philadelphia erfolgreich den Anzeigenmarkt ab. Ähnlich lief es in Toronto und Melbourne. Und auf den deutschen Markt wagte man sich trotz mehrfacher Ankündigungen erst gar nicht.

Zwar liegen die Metro-Titel mit über sieben Millionen LeserInnen weltweit im Ranking der meistgelesenen Tageszeitungen an fünfter Stelle. Doch dieser Erfolg ist eher symbolisch. Peter Dahlander, Medienanalytiker beim Investment-Berater Carnegie, sagt der Gratisbranche einerseits ein „unverschämtes Potenzial bei zukünftigen Anzeigeneinnahmen“ voraus, da die Blätter mit ihrer PendlerInnenleserschaft erfolgreich auf eine besonders kaufkräftige Gruppe zielten. Doch andererseits zeigten die Metro-Verluste, dass das Konzept durchaus ein „Unsicherheitsmoment“ enthalte und Investoren einiges riskierten. Eine Unsicherheit übrigens, so Dahlander, die auch an den Finanzmärkten zu spüren sei, wo man derzeit wesentlich weniger bereitwillig in neue Gratiszeitungsprojekte investiere.

Für Karl Erik Gustafsson ist das schwedische Erfolgsrezept ohnehin eigentlich mehr nationalen Besonderheiten geschuldet: In Resteuropa und den USA hätten Printmedien sowieso traditionell einen wesentlich geringeren Anteil am Anzeigenkuchen gehabt als in Skandinavien, weshalb die profitablen Marktnischen für kostenlose Tageszeitungen nicht von Dauer sein dürften.

Und auch die gut verdienende „Mutter“-Metro in Stockholm kann es sich mittlerweile nicht mehr leisten, unnötiges Geld hinauszuwerfen. Im März stellte man ohne Vorwarnung den Nachmittagsableger Everyday nach gerade neun Monaten ein.

Everyday war übrigens nur als Abwehmaßnahme gegründet worden, um den Markt für ein Konkurrenzprodukt zu sperren. – „Kölner Modell“ schon damals in Stockholm: Nachdem die Konkurrenz die Segel gestrichen hatte, gab es keinen Bedarf mehr für ein tägliches Everyday. Und 20 entlassene RedakteuerInnen durften in Ruhe darüber nachdenken, ob sie wirklich angestellt worden waren, um eine Zeitung zu produzieren.