Grüne proben Frohsinn statt Tiefsinn

Bei der Vorstellung des grünen Grundsatzprogramms wehrt sich die Parteispitze gegen den Vorwurf, nicht länger links zu sein. Der neue „Kurs der linken Mitte“ ersetzt den früheren Alarmismus der Grünen durch einen „zukunftsfrohen“ Optimismus

von PATRIK SCHWARZ

Es ist unverkennbar, die grüne Führung steht auf einem neuen programmatischem Fundament. So unbekümmert jubilant, so ungeniert nichtssagend haben die Claudia Roths und Reinhard Bütikofers dieser Partei schon lange kein Papier mehr angepriesen. „Wir haben als einzige Partei ganz zukunftsfroh die Herausforderungen angegangen“, rühmt Parteichef Fritz Kuhn. „Es wird deutlich machen, was grün ist an den Grünen“, ruft die Kovorsitzende Roth, und Geschäftsführer Bütikofer gibt den wiedergeborenen Ökopax: „Die Grünen haben ihren Kurs wieder gefunden.“ Halleluja, das grüne Grundsatzprogramm ist da. Oder zumindest der Entwurf.

In einem monatelangen Prozess wurden die 77 Seiten befreit von allem, was widerborstig war, anstößig oder provokativ. Selbst der ursprünglich vorgeschlagene Begriff von der „entfesselten Ökonomie“ wurde frisiert, obwohl er längst ein Gemeinplatz bürgerlicher Feuilletons geworden ist. „Globalisierung hat für uns schwierige Seiten“, sagt Kuhn bei der Vorstellung, „aber wir wollen sie positiv gestalten.“ Von der früheren Dringlichkeit, auch der Getriebenheit der Grünen bei der Suche nach Lösungen für die Krisen der Welt, ist nichts mehr geblieben. „Den Alarmismus, den Sofortismus der alten grünen Programme finden Sie in diesem Programm nicht“, sagt Kuhn und meint es positiv. Fast erstaunlich mutet vor diesem Hintergrund der Eifer an, mit dem die Parteispitze trotzdem auf dem Etikett „links“ beharrt. Nachdem die taz am Montag titelte „Grüne wollen nicht links sein“, verteidigt die Parteiführung die neue Linie: „Es ist ein realistischer Kurs, ein ökologischer Kurs, ein Kurs der linken Mitte.“ In der Präambel des Programms wird dagegen die Partei „jenseits des eindimensionalen Rechts-links-Schemas“ verortet.

Vor allem Bütikofer und Roth blieb es bei der Präsentation überlassen, den guten Ton gegenüber der eigenen Basis zu wahren, wonach grün nur ist, was erstritten wird. „Wir verweigern die einfachen Antworten“, sagt der Geschäftsführer, als seien Vagheiten eine Heldentat für sich. Eine „breite“, „lebhafte“, „kontroverse“, „intensive“ Debatte um das Programm wünschte sich die Parteivorsitzende – um anschließend alle Fragen nach Defiziten abzubügeln. Dabei enthält das Dokument nicht einmal den Parteibeschluss, den Asylrechtsartikel 16 in seiner alten Form wiederherzustellen.

Auf drei Feldern bekommt die Basis Alternativvorschläge präsentiert: Einfache versus Zweidrittelmehrheiten für Kampfeinsätze der Bundeswehr, Befürwortung oder Ablehnung von Gutscheinen für Bildung und Ausbildung sowie Beitrags- versus Steuerfinanzierung für die Sozialversicherungssysteme. Nach mehreren Regionalkonferenzen wird die Parteispitze den vorliegenden Entwurf allerdings Ende September überarbeiten – und den Delegierten des Parteitags im November womöglich gar keine Alternativen mehr vorlegen. Parteichef Fritz Kuhn sieht dagegen tausend Blumen blühen: „Es kann auch passieren, dass wir weitere Alternativen aufmachen für den Parteitag.“