Unter Saddams harter Hand

von INGA ROGG

Totgesagte leben länger. Seit Monaten kursieren in irakischen Dissidentenkreisen Gerüchte vom Rücktritt oder gar Ableben Saddam Husseins. Neue Nahrung erhielten die Spekulationen am Wochenende durch einen Bericht der in London ansässigen arabischen Tageszeitung al-Hayat. Demnach wolle der Diktator, der an Lymphdrüsenkrebs erkrankt sein soll, im September abdanken und seinen jüngeren Sohn Qusai zu seinem Nachfolger auf Lebenszeit ernennen.

Saddam Hussein wurde am 17. Juli 1979, heute vor 22 Jahren, von seinem politischen Ziehvater Hassan al-Bakr zum Nachfolger im Amt des Präsidenten und Vorsitzenden der seit 1968 im Irak herrschenden Baath-Partei ernannt. Nur drei Jahre hat das Land seitdem in relativem Frieden verbracht. Während der Kriege gegen Iran und Kuwait landeten tausende Oppositionelle in Gefängnissen. Ungeahnte Ausmaße erreichte das Grauen 1988 in Kurdistan, als während der „Anfal“-Offensive fast die gesamte Landbevölkerung deportiert wurde und das Regime dabei systematisch Giftgas einsetzte. An vorderster Front: Ali Hassan al-Majid, einst in der Baath-Partei zuständig für Nordirak, wurde er von Saddam nach seinem grausamen Vorgehen gegen die Kurden immer da eingesetzt, wo besondere Härte gegenüber Regimegegnern gefragt war. Wegen seiner Verantwortung für die Giftgaseinsätze wird er von den Kurden „Chemie-Ali“ genannt.

Die UN-Sanktionen konnten der Terrorherrschaft kein Ende setzen. Wie viele Schiiten von 1992 bis 1995 einem Vernichtungsfeldzug im Süden des Landes zum Opfer fielen, weiß bis heute niemand. Während seine Gegner über den Gesundheitszustand Saddams spekulieren, lässt dieser seine Untertanen unvermindert die harte Hand spüren. Tausend Dinar mussten Händler anlässlich seines Geburtstags im April abdrücken. Derlei Sonderabgaben sind ein beliebtes Instrument, das irakische Staatssäckel zu füllen. Wer sich weigert, dem droht der Entzug der Geschäftslizenz. Oder er landet gleich im Gefängnis – so wie Mohammed Ahmed*.

Ein Jahr saß der bis dahin unbescholtene Geschäftsmann aus Bagdad in Haft. Zusammen mit seinem Kompagnon hatte er europäische Altkleider aus Iran importiert. Das Geschäft florierte, bis eines Tages die Sonderpolizei in ihrem Lager in Kirkuk aufkreuzte, sämtliche Waren konfiszierte und Ahmed festnahm. Eine halbe Million Mark gingen verloren. Was Ahmed genau zur Last gelegt wurde, hat er nie erfahren. Mehrere tausend Mark an Bestechungsgeldern zahlte sein Partner, um ihn schließlich freizubekommen. Danach war ihr Geschäft ruiniert. Kompensation für den Verlust haben sie nicht erhalten. Trotzdem wollen sie nicht gegen den Willkürakt klagen. „Wir sind doch nicht lebensmüde“, sagt Ahmeds Kompagnon. „Damit würden wir uns direkt mit Udai anlegen.“

Auf ihn, den missratenen Sohn des Diktators, sollen einige Morde gehen. Nach übereinstimmenden Berichten von Händlern und Oppositionellen kontrolliert Udai Sadam einen Großteil des lukrativen Schmuggels mit Diesel, Zigaretten, Alkohol, Autos, Computern sowie Waffen. An den Vereinten Nationen vorbei nimmt das Regime dadurch jährlich hunderte Millionen Mark ein, mit denen es die eigene Klientel bedienen und so seine Macht sichern kann.

Nach Auskünften geflohener irakischer Rüstungsexperten hat Bagdad mit diesen Geldern in den vergangenen zwei Jahren auch das Arsenal an Massenvernichtungswaffen weiter ausbauen können. Dabei werde Bagdad, so ein Sprecher des in London ansässigen Oppositionsbündnisses „Iraqi National Congress“ (INC), von Wissenschaftlern aus Russland tatkräftig unterstützt.

Mit der Aufrüstung und dem Schmuggel lässt sich auch die Absage Saddams erklären, das Embargo durch „intelligente Sanktionen“ zu ersetzen. Mit ihnen sollten Handelsbeschränkungen aufgehoben und im Gegenzug die Kontrollen über den Schmuggel sowie militärische Güter und Waffentechnologie verschärft werden. Die Angst der Menschen, das Regime könnte biologische oder chemische Waffen besitzen, ist ein wichtiges Moment, das die Diktatur aufrechterhält. Insofern wird Bagdad künftig einer Wiederaufnahme der seit 1998 ausgesetzten Waffeninspektionen kaum zustimmen.

Mit der Wiederaufnahme der Öl-Exporte seitens Bagdad ist fürs Erste alles wieder wie gehabt. Dabei wäre eine Reform des Embargos dringend nötig. Der einst breite Mittelstand fristet ein Dasein in kläglicher Armut. Kinderarbeit ist im Zweistromland mittlerweile üblich. Da das Regime die Lebensmittelrationen im Süden des Landes selbst verteilt, kann es die Menschen in Abhängigkeit halten. Doch Saddam Hussein weiß: Die Zeit läuft.

Obwohl der Westen beteuert, das Embargo ziele auf den Sturz des Regimes, fehlt es dazu an Konzepten. Übersehen wird dabei, dass die „Embargoresolution“ die Aufhebung der Sanktionen nicht an Bedingungen hinsichtlich demokratischer oder menschenrechtlicher Mindeststandards knüpft. Vorschläge, diese Lücke zu füllen, gibt es genügend. Sie reichen von einer militärischen Unterstützung der Opposition, über die materielle wie politische Stärkung der demokratischen Ansätze im seit 1991 autonomen Irakisch-Kurdistan bis zur Einrichtung eines Kriegsverbrechertribunals gegen Saddam und seine Schergen. In einem Punkt ist sich die stark zersplitterte Opposition einig: Sie wünschen sich ein stärkeres Engagement Europas, um sich vom Makel zu befreien, die fünfte Kolonne des „US-Imperialismus“ zu sein, wie Saddam gerne höhnt. Während sich die internationale Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Haltung gegenüber Bagdad schwer tut, verbreitet Saddam weiterhin Schrecken und Terror. Wie die Menschenrechtsorganisation „Coalition for Justice in Iraq“ kürzlich mitteilte, sind seit vergangenen Oktober achtzig Frauen unter dem Vorwurf der Prostitution öffentlich hingerichtet wurden. Mitte Juni wurden sieben Richter verhaftet, die sich zuvor für die Zulassung von Anwälten in Verfahren vor den gefürchteten Sondergerichten ausgesprochen hatten. Und unvermindert hält die „Arabisierung“ der kurdischen Erdölzentren Kirkuk und Khanaqin an. Zehntausende Kurden wurden seit 1992 aus Kirkuk deportiert, ohne dass nennenswerter internationaler Widerstand dagegen laut wurde.

Für die Zukunft hat Saddam schon vorgesorgt. Systematisch hat der Diktator in den vergangenen sechs Jahren seinen jüngeren Sohn Qusai als Nachfolger aufgebaut. Mit der Wahl in den Kommandorat der Baath-Partei und der Ernnenung zum Oberbefehlshaber des Baath-Büros für militärische Angelegenheiten im Mai ist Qusai endgültig zum zweitmächtigsten Mann im Staat aufgestiegen.

Nach Auskunft verschiedener Oppositionsgruppen ist derzeit eine umfangreiche Reorganisation innerhalb des Partei- und Militärapparats im Gange. Dabei soll Ali Hassan al-Majid von seinem Posten in Bagdad abgelöst werden sein. Das könnte ein Zeichen für Diadochenkämpfe sein, aber auch dafür, dass „Giftgas-Ali“ auf anderem Posten gebraucht wird. Fraglich ist auch, ob Saddams zweiter Sohn Udai seine Degradierung widerstandslos hinnehmen wird.

Das Zünglein an der Waage könnte das autonome Kurdistan sein. Am Sonntag hat sich Saddam in einer Ansprache im Staatsfernsehen direkt an die Kurden gewandt und ihnen versprochen, ihre Wünsche stärker zu berücksichtigen. Unter den Kurden stoßen derartige Reden auf Misstrauen. Truppenverlegungen im Norden haben bereits Befürchtungen über einen drohenden Militärschlag ausgelöst. Keine rosigen Aussichten für das zerrüttete Land. Es scheint ganz so, als könnte der Geschäftsmann Ahmad mit seiner düsteren Prophezeiung recht behalten: „Etwas Besseres kommt nicht nach.“

* Name geändert