Vom Tivoli zum DGB

■ In dem schmucklosen Backsteinbau des U.T. am Bahnhofsplatz sprechen jetzt die Bagger: Dabei hat das Haus einmal Bremer Kinogeschichte geschrieben.

Früher knutschten die Eltern im Kino, heute kuscheln die Teens ungeniert vor dem Fernseher – und Mama und Papa dürfen zugucken. Das ist sicher einer der Hauptgründe, warum jetzt mit dem Abriss des alten U.T.-Kinocenters begonnen wurde. Der DGB baut das alte Lichtspielhaus für rund fünf Millionen Mark zum Sitz der neuen Dienstleistungsgewerkschaft ver.di aus. Von den Flips in den Sesselritzen, Cola-flecken auf dem Parkett und von tausenden Erinnerungen bleibt nur wenig.

Dabei war das U.T. bei seiner Eröffnung 1927 mit 2.400 Sitzplätzen das größte Kino der Stadt, Premierentempel und sogar Uraufführungskino für ganz Norddeutschland. In der Gründerzeit hieß es noch „Tivoli“ und war eigentlich ein Operettenhaus.

Es gab „Ben Hur“, „Die Nibelungen“ oder Fritz Langs „Metropolis“. Viele Bremer glaubten an einen Aprilscherz, als ihnen 1929 das „Tivoli“ den ersten Tonfilm der Stadt präsentierte: „The Singing Fool“, ein Komödchen aus den USA. Es knisterte ziemlich, das Publikum war begeistert und enttäuscht zugleich. Allerdings hörten einige Besucher so zum ersten Mal in ihrem Leben das Rattern eines Autos. Wie vorher die „Filmerklärer“ der ersten Kintoppe durch die Zwischentitel des Stummfilms arbeitslos geworden waren, so landete jetzt das Tivoli-Orchester auf der Straße. Auch der Stuck musste verblendet werden – wegen der Akustik.

Dann kam die Zeit der „volksbildenden“ Streifen: „Frankenstein“, US-Blockbuster der 30er, durfte ab 1938 nicht mehr gespielt werden. Aber die Bremer gingen 1940 auch in Scharen in ein hakenkreuzbeflaggtes Tivoli, in dem „Feuertaufe“, ein NS-Streifen über den Einfall der Luftwaffe in Polen lief. Gleichzeitig wurden die Kinos, genau wie die Filmindustrie, gleichgeschaltet. Ende 1942 übernahm die UFA das „Modernes“ und das „Tivoli“. Beide wurden zu „Propagandahäusern“ der Reichsfilmkammer erklärt. Den Besitzern, den Bremer Kino-Magnaten Luedtke & Heiligers, wurden im Gegenzug 50 Häuser in Moskau versprochen – nach dem Endsieg.

Doch es kam alles anders. Bis auf das „Decla“ in der Waller Herrstraße wurden 1944 alle Bremer Kinos zerstört.

Nach dem Krieg begann in ganz Deutschland die zweite Gründerphase des Kinos. 1958 gab es 31 Häuser mit 17.000 Sitzplätzen, das größte: das Ufa Tivoli, kurz U.T., am Bahnhofsplatz.

Obwohl die Detonationen der Bomben viele Säulen und Stuckdecken vom Putz befreit hatten, fiel auch der Rest des schönen Hauses den Baggern zum Opfer – typisch 50er entstand ein Backstein-Vorbau mit schmucklosen Kino-Kästen dahinter. 50er Jahre-Architektur auch beim „Modernen“ im Viertel (mit verschließbarer Kuppelfassade, die den Blick auf die Sterne freigab), und Glasbausteine im „City“ in der Birkenstraße.

Aber: Das neue U.T. boomte mit Massenware. Die Stars der Zeit: die Garbo, Marlene Dietrich und Hildegard Knef, die zur Premiere von „Alraune“ persönlich nach Bremen kam. Genauso wie Hans Albers für „Das Herz von St. Pauli“.

Als 1955 der erste Aufklärungsfilm nach Bremen kam, wurde noch ein Seil durch den Zuschauerraum gespannt, um Männlein und Weiblein zu trennen. Viele ZuschauerInnen fielen in Ohnmacht – dabei war doch nur eine Geburt zu sehen.

Und dann kam das Fernsehen, das Internet und die unvermeidbaren Multiplexe. Das große Bremer Kinosterben begann in den 70ern. Das „Europa“, der „Stern“, das „Ufa“ machten dicht, am 30. Dezember 2000 schloss auch das U.T.-Kinocenter mit 1.350 Plätzen in sechs Sälen für immer seine Pforten.

Und jetzt sprechen schon die Bagger. In zwei Monaten sollen die Säle hinter dem Haupthaus platt sein, am 1. Mai 2002 – wann auch sonst – das neue Gewerkschaftshaus stehen. Noch überlegen einzelne ver.di-Einzelgewerkschaften wie die Deutsche Angestellten Gewerkschaft, ob ihnen 26 Mark Bruttomiete pro Quadratmeter nicht zuviel sind. Aber das wird nur ein kleines Theater im Vergleich zu den großen Leinwandspektakeln, die früher hier über die Bühne gegangen sind.

ksc