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: Bafög-Bericht der Bundesregierung zeigt: Aufstieg durch Bildung nicht mehr selbstverständlich

Handy statt Hochschulreife

Der neue Bericht über die soziale Lage der Studierenden enthält ein doppeltes Problem für die Regierung. Um die Segnungen ihrer neuen Studienförderung zu dokumentieren, kommt die Studie zu früh. Und um das Kabinett der sozialdemokratischen Aufsteiger aufzurütteln, kommt das Papier zu spät. Denn hinter den Studentenzahlen, die endlich wieder steigen, versteckt sich ein dramatisch unbeweglicher Kern: die so genannte niedrige Herkunftsgruppe. Ihre Teilhabe an Schule und Hochschule nimmt stetig ab – wahrscheinlich auch ihr Wille, das alte Ziel „Aufstieg durch Bildung“ überhaupt zu verfolgen.

Diese neue Lethargie müsste für den vom Abendgymnasium kommenden Bundeskanzler Schröder ebenso ein Schock sein wie für seine Bildungsministerin Edelgard Bulmahn, Tochter einer Friseurin. Mit einer simplen Öffnung von Schulen und Hochschulen sowie Zuschüssen für den dritten Bildungsweg ist diese bildungsferne, schlecht verdienende Schicht jedenfalls nicht zu erreichen.

Das Neue an der niedrigen Herkunftsgruppe könnte sein, dass sie andere Ziele hat als die Zöglinge Willy Brandts. In den Sechzigerjahren mussten die Sozis die verriegelten Bildungszugänge des Landes nur öffnen – und aufstiegshungrige Arbeiterkinder rückten ein. Sie wollten Manager oder Lehrer werden und mindestens Opel fahren.

Die Unterschicht von heute ist anders: Sie ist in die sorgsam verborgene Sozialstaatsfalle geraten. Das Leben von Arbeitslosen und neuen Armen ist gewiss keine Cocktail-Party. Aber der Wertewandel hat auch dort die Ansprüche verändert: Bildung ist uninteressant geworden. Die Anfechtung des letzten Hilfe-Bescheids gilt als mutig – und vielleicht ein neues Handy?

Die SPD hat unter Edelgard Bulmahn einen interessanten Wandel ihrer Bildungspolitik eingeleitet. Chancengleichheit bedeutet ihr auch die Förderung von Hochbegabten. Das ist kein Fehler. Aber die Genossen der Mitte sollten wissen, dass die jetzigen Benachteiligten einen ritualisierten Aufstieg à la Arbeiterbildungsverein nicht kennen. Wer den Talenten, die es in den Sozialghettos natürlich gibt, gerecht werden will, muss ihnen dort von Anfang an die besten Kindergärten, Schulen und Lehrer anbieten. Auch das neue Bafög wird da nicht weiterhelfen. Viele Arbeiterkinder von heute wissen nicht, was Bafög ist – und wollen es auch gar nicht. CHRISTIAN FÜLLER

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