Gedichte, „Magnum“ – ist doch alles eins!

■ Deutsche Autoren lieferten die Gedichte für die neuerliche Poesie in die Stadt-Aktion

Er ist schon ganz schön kompliziert, dieser Sommer – und was das kulturelle Angebot betrifft, in puncto Logik ganz schön verworren. Von Adressatenforschung jedenfalls keine Spur, vom Studium der Statistiken tatsächlich Daheimgebliebener schon gar nicht: Da werden zum Beispiel unverdrossen städtische Kinder-Ferienprogramme angeboten, was das Zeug hält. Den zugehörigen Erwachsenen bleibt unterdessen nur das stumpfe Biergarten-Besäufnis oder die schlaffe Betrachtung des siebenundachtzigsten Musicals.

Auch in der Werbung hat die Rezipientenforschung wohl im Sommer Ruhepause – ein Phänomen, das auch bei der diesjährigen, noch bis Ende August laufenden dritten Poesie in die Stadt-Aktion zu beobachten ist: „In den Köpfen der Werbetreibenden dümpelt immer noch die Vorstellung von Sommerloch“, verlautet da aus kundigem Munde – will sagen: Werbeflächen auf Plakaten, Info-Screens und City-Lights lassen sich kaum vermarkten in den Monaten Juli und August. Weil angeblich keiner da ist, den zu manipulieren sich lohnt.

Andererseits scheint irgendwie dann doch noch jemand in der sommerlichen Großstadt zu weilen: Warum sonst sollten die Literaturhäuser von Berlin, Hamburg, Köln, Stuttgart und München auf ungeheure Leserresonanz spekulieren, wenn sie 21 Gedichte auf 200 Plakate und Screens drucken, um den Passanten ein bisschen Erholung von der ewigwährenden Boulevard-Lektüre zu verschaffen? Oder soll mensch hier ganz subtil im Training bleiben, sich ruhig daran gewöhnen, dass bedruckte Werbeflächen konzentriert zu lesen sind – auch dann, wenn bloß „Mein Magnum und ich“ draufsteht? „Die Autoren freuen sich natürlich, ein so großes Publikum zu finden“, verkündete daher stolz die Hamburger Literaturhaus-Leiterin Ursula Keller, die ohne Sponsorenhilfe – ihre Namen ziert eine rostrote Bordüre auf den Plakaten – nichts dergleichen hätte veranstalten können.

Trotzdem merkwürdig, dass diese Aktion, was die Publikumsanalyse betrifft, denen der Werbetreibenden so gänzlich zuwiderzulaufen scheint. Oder sollten etwa die Werbeempfänglichen sämtlich im Urlaube, die gedichtliebende Intelligenzija, romantisch verarmt, komplett zuhause geblieben sein? Merkwürdig – andererseits eine willkommene Gelegenheit für die Literaten, wenigstens ein paar Aufmerksamkeitskrümel zu erhaschen. Und Gedichte sind immerhin noch besser als komplett weiße Flächen, dachte sich der Werbe-Sponsor, der die Plakatflächen kostenlos zur Verfügung stellte – wohlgemerkt nur bis Ende August, um die neue Werbe-Saison nicht zu stören, zu der die Flächen wieder für Wichtigeres gebraucht werden.

Trotzdem, und immerhin: 21 von 35 eingereichten Stadtsommer-Texten zeitgenössischer deutscher Dichter zieren seit Mitte Juli schleimgrüne Plakate (Billigfarbe oder raffinierte Fengshui-Tönung?), deren Länge acht Zeilen nicht übersteigen sollte. Das Resultat: leicht Verständliches, das vom in der U-Bahn verzehrten Apfel, von selbsttätig schließenden Zeilen und von minzblauen BHs handelt. Von störrischen Seen schreibt Ilma Rakusa, von einer Erdhalbkuh Oskar Pastior. Und dann ist da noch der Welpe des Marcel Beyer, der aus seiner Wintertasche schnuppert und dessen Drogenblick einem so vertraut vorkommt...P. Schellen

Außerdem dabei: Jürgen Be-cker, Volker Braun, Ulrike Draesner, Adolf Endler, Franzobel, Robert Gernhardt, Dieter M. Gräf, Durs Grünbein, Ulla Hahn, Rolf Haufs, Brigitt Oleschinski, Monika Rinck, SAID, Raoul Schrott, Lutz Seiler, Hans-Ulrich Treicherl, Jan Wagner, Wolf Wondratschek.

Bis Ende August