Immer schlank bleiben

Die eigene Geschichte verarbeiten: Ehemalige Drogensüchtige spielen Marlowes Doktor Faustus am Monsun  ■ Von Liv Heidbüchel

„Der Prä-Goethe-Faust war eine Kultfigur. Sowas wie Tarzan.“ Das glaubt zumindest Martin Kreidt, seit Jahren freischaffender Regisseur. Ihm und seinem Freund und Kollegen Matthias Frense – Absolventen des Studiengangs Schauspieltheater-Regie– ist der Faust-Mythos natürlich hinlänglich bekannt. Seit Mitte April schon arbeiten die beiden an einer sehr speziellen Inszenierung des ältesten überlieferten Faustdramas: Christopher Marlowes Die tragische Historie des Doktor Faustus aus dem Jahr 1604.

In ihrem „Teufelspakt“ geht es dem Regisseurenduo allerdings weniger um das Aufspüren von Gemeinsamkeiten zwischen dem ungebildeteten Dschungelhel-den und dem belesenen Intellektuellen. Vielmehr verstehen sie Fausts Sinnsuche als Geschichte über Sucht: „Faust befindet sich in einem einsamen, depressiven Zustand. Er hat alles und macht nichts daraus“, interpretiert Kreidt. „Als so genannter Weltwissenschaftler hat er vermutlich jedes damals erhältliche Buch gelesen – bis auf das eine verbotene.“ So schließt Faust bekanntermaßen mit dem Teufel einen Pakt, der ihm zum Preis seiner Seele 24 Jahre unbegrenztes Wissen und Macht garantieren soll.

Beim Rauschhaften dieses Größenwahns setzen Kreidt und Frense an: Statt der schwarzen Magie verschreibt sich Faust in ihrer Version der Droge. Das ganz offensichtliche Problem bei beiden Versuchungen ist jedoch dasselbe: Nach dem verheißungsvollen Highsein kommt der Absturz und mit ihm die Rechnung. Ebenso wenig, wie sich Marlowes Faust vom Teufel lossagen kann, gelingt ein Befreiungsschlag aus der Drogensucht. Oder eben nur sehr selten.

Passend, aber doch recht ungewöhnlich fällt die Wahl der DarstellerInnen aus: Insgesamt sieben ehemalige Drogenabhängige werden heute und am Sonnabend gemeinsam in die Figur des Faust schlüpfen. Mit Voyeurismus hat das allerdings nichts zu tun. Schließlich spielen die drei Frauen und vier Männer nicht ihre persönliche Suchtvergangenheit, sondern Marlowes Doktor Faustus. Dass sich die beiden Regisseure trotzdem für diese Verschränkung von Literatur und Realität entschieden haben, verfolgt natürlich ein gewisses Ziel: „Gesellschaftsrelevanz durch Leute, die relevant sind“, erklärt Frense. Und Kreidt ergänzt, ihr „Teufelspakt“ sei der Versuch, Theater „nicht nur von oben zu deklinieren“. Ein bisschen Schlingensiefsches Theaterverständnis weht da schon herüber.

Davon grenzen sich Frense und Kreidt allerdings entschieden ab: „Wir hängen das Theater höher“, tönt es unisono. Am Anfang nämlich war zuerst einmal die Lesart vom Text. Später dann kam die Idee der jetzt zu sehenden theatralen Umsetzung. Außerdem war das Ganze zu Beginn auf einen privaten Raum begrenzt, niemand dachte ernsthaft an eine Aufführung.

Schon nach wenigen Probentreffen jedoch entstand bei den DarstellerInnen der Wunsch, ihr Stück auch öffentlich zu zeigen. Wenngleich das Theater durchaus auch eine rauschähnliche Ersatzfunktion erfüllen kann, begreifen die Regisseure ihre Arbeit keineswegs als therapeutisch. Auch wenn sie „zwangsläufig an diesen Sektor herangekommen sind“, wissen die beiden doch ganz genau, wo ihr Zuständigkeitsbereich liegt: nämlich beim Theater.

Marlowes Drama, das für den gewöhnlichen Menschen nur durch die Erklärungen im Anhang ganz verständlich ist, wird auch mit Rücksicht auf die LaienschauspielerInnen „schlank gehalten“, wie Frense es nennt. Das ausgedünnte Stück besteht nun aus drei Teilen: Der Pakt, Die (begrenzte) Zeit mit dem Teufel und Das Ende. Für die Verse des Mittelparts zeichnet Kreidt selbst verantwortlich. In dieser „Fantasiereise“ auf Fausts Spuren finden Gedanken und Vorstellungen der DarstellerInnen ihre formalisierte Umsetzung und werden in sieben Monologen vorgetragen. Die beiden anderen Teile sollen tatsächlich chorisch gesprochen werden – nicht nur für Laien harte Arbeit. Doch Frense und Kreidt sind vollkommen begeistert von ihrem Team und blicken zuversichtlich auf die Aufführungsabende: Denn schon bei den Proben hat vieles besser geklappt als in professionellen Theaterkreisen.

Donnerstag, und Sonnabend, 20 Uhr, Monsun-Theater, Friedensallee 20