Höchst musikalisch

Gehört: Bartoli, Harnoncourt und „Concentus musicus Wien“ in der Musikhalle  ■ Von Reinald Hanke

Schon vor Betreten des Großen Saales der Hamburger Musikhalle vermittelt sich dem unbefangenen Beobachter ein klarer Eindruck: Das Publikum dieses Abends ist bereits vor Beginn der Veranstaltung in bester Laune. Man freut sich auf einen vermeintlich leicht verdaulichen musikalischen Genussabend mit Weltstars der Klassikszene. Eine allgemeine Jubelwilligkeit scheint in der Luft zu liegen. Das aus offensichtlichem Geldadel, Musikkennern und einer unübersehbaren Zahl von Adabeis zusammengesetzte Publikum hat sehr stolze Preise gezahlt für Cecilia Bartoli, Nikolaus Harnoncourt und den Concentus musicus Wien: Da ist die Vorfreude im Preis mit inbegriffen. Ob La Bartoli oder Maestro Harnoncourt: Beide lassen Großes erwarten.

Um es vorwegzunehmen: Der Abend hielt, was er versprach. Das Konzert wurde zu einem Triumph der Musik Haydns und Mozarts. Und es wurde durch Bartoli und Harnoncourt zu einem Triumph zweier Musikergrößen ganz außergewöhnlichen Kalibers – und damit zu einem Sieg der musikalischen Seriosität über oberflächlichen Klassikstar-Glamour.

Cecilia Bartoli demonstrierte eine höchst selten zu erlebende Musikalität. Verbunden mit ihrer sängerischen Natürlichkeit, traumwandlerisch sicherem Stilgefühl, faszinierender Gestaltungskraft und Phrasierungskunst geriet jede Sekunde ihres Singens zu einem Ereignis. Da war des Staunens kein Ende. Ob jetzt wegen der wunderbaren Abtönungen ihrer gar nicht sonderlich großen, jedoch außerordentlich klangschönen und ausgeglichenen Stimme oder wegen ihrer immensen Ausdruckskraft oder gar wegen ihrer so unaffektierten Vortragsweise, die alles so erscheinen lässt, als könne man es gar nicht anders singen. Die Gründe für das Staunen waren vielfältig.

Dass die drei Mozart-Arien und die große Haydn-Szene musikalisch und technisch alles andere als leicht sind, war selbstredend den Darbietungen in keiner Sekunde anzumerken. Bartoli sang, als ob ihr das Singen so leicht fallen würde wie einem Vogel das Zwitschern. Für die Musiker des Concentus musicus Wien galt solche Bewunderung in weiten Teilen ebenso, wenn auch das aufgestockte, auf vermeintlich historischen Instrumenten spielende Kammerorchester doch gelegentlich die eine oder andere kleinere klangliche Unsauberkeit in der höchst differenziert und spannungsvoll musizierten Sinfonie Nr. 92 von Joseph Haydn erkennen ließ.

Höhepunkt des Abends waren allerdings weder diese mit vielen agogischen Finessen (Menuett) musizierte Haydn-Sinfonie noch die Arien und Szenen von Mozart und Haydn. Es war eine Wiedergabe der wohl dramatischsten Sinfonie von Mozart, der so genannten Prager Sinfonie. Harnoncourt legte zwar die Strukturen dieser Musik offen, erlag dabei aber nie der Gefahr kalter Glätte. Im Gegenteil: Sein höchst sinnliches, extreme Emotionen freilegendes Musizieren ließ den inneren Kampf der verschiedenen musikalischen Elemente als Auseinandersetzung in Musik gefasster Gefühle erscheinen. Da brach immer wieder die Wehmut durch das Aufbegehren, da wurde Leidenschaftlichkeit durch Gelassenheit in Relation gesetzt. Die musikalische Dramatik des Stückes und auch seine Don Giovanni-Nähe wurde so geradezu greifbar. Zusätzlich aber offenbarte Harnoncourts Musizieren Klangfarben und Klangflächen in der Musik Mozarts, wie sie derzeit kaum ein anderer Dirigent hörbar machen kann. Und der Concentus musicus phrasierte mit einer kammermusikalischen Sensibilität, wie sie gar zu selten ist. Da wirkte keine innere Zäsur, kein leichtes Einfärben eines Tones, kein zugespitzter Akzent beliebig. Jede Melodie atmete, jeder Rhythmus hatte Kraft, jeder Spannung oder gar Hochspannung folgte die Entspannung. Da war dann das zweite Mal des Staunens kein Ende.

Leicht verdaulich war dieses Konzert natürlich nicht. Dafür aber um so besser: Es ging unter die Haut.