Der Herr der Trillerpfeifen

taz-Serie „Die Aktivisten“ (Teil 7): Frank Brendle organisiert den Protest gegen Bundeswehrgelöbnisse. Auch morgen wird er wieder lautstark Richtung Bendlerblock ziehen, obwohl die Zahl der Mitstreiter stetig sinkt

von KATRIN WEIBERG

Auf seiner Reise durch das Farbspektrum ist das Haar irgendwo zwischen Tomatenrot und Veilchenrosa stecken geblieben. Nun sieht der Hinterkopf aus, als würde er beständig bei Capri im Meer versinken. Sonst leistet sich der Frank Brendle keine äußerlichen Extravaganzen. Bekleidungsfragen werden von dem 32-Jährigen allmorgendlich mit Turnschuhen, Jeans und schwarzem Sweatshirt gelöst. Brendle hat eine halbe Stelle als Altenpfleger. Seine freien Stunden füllt er mit Politik.

„Ich reagiere allergisch auf jede Form von Herrschaftsansprüchen“, sagt der Antimilitarist. Der Einberufungsbescheid zur Bundeswehr sei der Auslöser zu seinem Marsch gegen die Institutionen gewesen. Er wurde Zivildienstleistender und bereute später, sich diesem „staatlichen Diktat“ gebeugt zu haben – Totalverweigerung wäre seiner Meinung nach der couragiertere Weg gewesen. Damals habe er das Gefühl gehabt, man stelle Ansprüche an ihn, gegen die er sich nicht wehren konnte. Damals, sagt er, „wurde mir klar, welchen Stellenwert persönliche Freiheit für mich hat“.

Für Brendle gilt: „Soldaten sind Mörder.“ Die Bundeswehr mit ihren ausgeprägten Machtstrukturen sei der stärkste Gewaltapparat in unserer Gesellschaft. Davon ist er überzeugt, seit er sich mit den militärischen Aspekten seiner Familiengeschichte auseinander gesetzt hat: Sein Großvater diente in der SA, sein Onkel wurde während des Kriegs als Deserteur verfolgt – ein brisantes Spannungsverhältnis.

Vor zwei Jahren während des Kosovokriegs hat Frank Brendle das Büro für antimilitaristische Maßnahmen (BamM) mit gegründet – eine Gruppe von konstant acht Leuten, die der Öffentlichkeit einmal im Jahr mit dem „GelöbNix“ ins Auge sticht. Der Namen erinnert an das kleine gallische Dorf, das der römischen Übermacht furchtlos Paroli bietet. Und Brendle, der Asterix der Pazifisten, formiert alljährlich eine Truppe von etwa 500 Troubadixen, die mit Trillerpfeifen und Musik von einer mobilen Anlage gegen das Bundeswehrgelöbnis zu Felde zieht.

Bislang fanden in Berlin vier öffentliche Gelöbnisse statt, und jedes Mal blieben die Teilnehmer hinter dem polizeilichen Schutzwall aus Plexiglasschilden und Wasserwerfern verborgen. Öffentlichkeit wurde allein durch Angehörige der jungen Soldaten und die Medienvertreter hergestellt. So auch in diesem Jahr: Die Berliner werden am morgigen 20. Juli keine Gelegenheit haben, einen direkten Blick auf Volksvertreter, Rekruten und das Wachbataillon zu werfen.

Damit scheint Brendle erreicht zu haben, was er sich nach dem ersten Gelöbnis 1996 vor dem Schloss Charlottenburg vorgenommen hatte: die öffentliche Zurschaustellung des Bundeswehrnachwuchses ad absurdum zu führen, indem man „das Spektakel“, wie er sagt, „durch vehemente Störungen in einen Kokon aus Sicherheitskräften treibt“. Allerdings bezogen 1996 noch etwa 1.000 Gelöbnisgegner lautstark Stellung „gegen die Militarisierung des öffentlichen Raumes“, erinnert sich Brendle. „Durch die Verlegung in den Bendlerblock hat sich die Anzahl der Kundgebungsteilnehmer deutlich reduziert, viele sehen keine Notwendigkeit mehr, zu demonstrieren.“

Doch das liegt nicht nur am fehlenden Interesse. Die Szene der Antimilitaristen ist heftig zerstritten. In diesem Jahr ruft nicht einmal mehr die sonst allgegenwärtige „Kampagne gegen Wehrpflicht“ zur Teilnahme an der Demonstration auf. Es ging um die Frage, ob sich etwa die Jusos noch beteiligen dürfen, obwohl die SPD für den Bundeswehreinsatz im Kosovo war.

Noch vor drei Jahren hatte neben Gregor Gysi auch Jürgen Trittin die Anti-Gelöbnis-Kundgebung im Wahlkampf genutzt, um sich vollmundig als Kriegsgegner zu präsentieren. „Seit dem Kosovokrieg sind die Grünen selbstverständlich keine Ansprechpartner mehr für uns. Jemand wie der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele wäre nur als Privatperson willkommen, wenn er käme“, sagt Brendle nüchtern. Die Masse der Parteien und Organisationen, die auf dem GelöbNix Flagge zeigen, sei nicht entscheidend, ihre „Bestechlichkeit“ in Bezug auf mögliche und tatsächliche Regierungsbeteiligungen aber schon.

Beispiel PDS: Ihr Landesverband habe sich gegen eine Teilnahme am GelöbNix ausgesprochen, sagt Brendle: „Die sind in Berlin auf dem Weg zur Regierungspartei. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dann keine Gelöbnisse in der Stadt mehr geben wird.“ Nur einzelne Bundestagsabgeordnete wie Angela Marquardt, Carsten Hübner oder Winfried Wolf würden die Veranstaltung grundsätzlich unterstützen und möglicherweise dabei sein. Aber „alles in allem ist die PDS in der Frage der Kriegsgegnerschaft nicht mehr so monolithisch wie früher“.

Ganz im Gegensatz zu Brendle. Mit beinah religiösem Eifer arbeitet er fast jeden Tag etliche Stunden im Antimilitarismusbüro. „Informationsvorsprung“, dieses Wort benutzt Brendle hier oft und so wie ein Mantra gegen jede Form von Obrigheitshörigkeit. Nach der Machtverteilung in der kleinen Welt des Antimilitarisierungsbüros befragt, drückt er sich so aus: „Spontane Entscheidungen werden von den Leuten getroffen, die einen Informationsvorsprung haben oder die gerade im Büro sind.“

Hauptsächlich befasst sich Frank Brendle im Büro mit seinem Informationsvorsprung. Den bündelt er seit einiger Zeit in Texte für verschiedene linke Zeitungen. In seinen Artikeln nimmt er die Attentäter des 20. Juli 1944 unter die Lupe. „Es zeichnet sich ab, dass die Bundesregierung dieses Datum in Zukunft verstärkt zum Politikum machen will. Die Motive derer, die an diesem Tag das Attentat auf Hitler verübt haben, waren aber alles andere als demokratisch.“ Wolle man diese Männer zu moralischen Vorbildern aufbauen, so sei dies politisch gewollte Geschichtsverdrehung.

Aber nicht nur das Datum des Gelöbnisses ist ihm ein Dorn im Auge, er lehnt Gelöbnisse als „esoterische Militärfolklore“ grundsätzlich ab. Diese Überzeugung teilt er mit Jutta Ditfurth, der ehemaligen Bundestagsabgeordneten, die vor ihrem Parteiaustritt 1991 vier Jahre lang Sprecherin im Bundesvorstand der Grünen war. Wie schon beim GelöbNix 1999 wird die energische Frankfurterin auch in diesem Jahr ihren sich überstürzenden Wortschwall gegen die Militärzeremonie über die Zuhörer gießen. Anschließend, wenn auf dem Hof des Verteidigungsministeriums der feierliche Moment naht, da ordentlich frisierte Menschen die Gelöbnisformel nachsprechen, werden die Gallier wieder ihre Lautsprecher aufdrehen, auch wenn das vorab polizeilich verboten wurde. Die Beamten werden das als nachhaltige Ruhestörung empfinden und das Gerät beschlagnahmen. Dann werden sich die Kriegsgegner zu einer Gegenwehr hinreißen lassen, einige wird man festnehmen.

Brendle kam in solchen Situationen zweimal wegen schweren Landfriedensbruch in Polizeigewahrsam. Beim ersten Mal wurde das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt, beim zweiten Mal wurde er freigesprochen. Denkt er an die Polizei, kommt wieder der Gallier in ihm zum Vorschein. Die Frage sei: „Machen wir sofort das, was die Polizei uns befiehlt? Nun, ich kann verstehen, wenn sich jemand provoziert fühlt, aber ich bin kein Anarchist, sondern unpatriotischer Linker ohne ideologische Unterfütterung. Im Übrigen habe ich nicht die Kommandogewalt über die Demonstrationsteilnehmer.“