Was also macht der Rabbi?

Mit ihren Plädoyers für Toleranz machen es sich zwei Filme, die ihre Sympathie für das orthodoxe Milieu trotz allem nie leugnen, nicht leicht: Sandi Simcha DuBowskis Dokumentarfilm über Homosexualität im orthodoxen Judentum und Amos Gitais Spielfilm „Kadosh“ über eine kinderlose Ehe

von PHILIPP BÜHLER

Warum antwortet ein Rabbi auf jede Frage mit einer Gegenfrage? Das ist ein sehr schöner jüdischer Witz, und die Antwort lautet natürlich: Warum nicht?! Aber was, wenn der schlaue Gottesdiener sich einmal nicht herausreden kann? In Fragen der Homosexualität etwa gibt ihm die Bibel nicht viel zu deuten. „Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben“, heißt es in Leviticus 20,13. Die Drohung steht auch am Anfang von „Trembling Before G-d“, einem Dokumentarfilm von Sandi Simcha DuBowski über schwule und lesbische Juden, die ihren ortodoxen Glauben leben wollen, ohne ihre homosexuelle Identität verleugnen zu müssen. Auf das Gespräch mit dem Rabbiner können sie nicht verzichten. Denn gerade im Judentum, das zeigt der Film mehr als deutlich, ist Religion niemals Privatsache.

Was also macht der Rabbi? Er macht ein ernstes Gesicht. Rät zur Enthaltsamkeit. Denn nicht das homosexuelle Verlangen sei Sünde, sondern der Akt. Aber was genau darunter zu verstehen ist, bleibt unklar. David ist so verzweifelt wie vor zwanzig Jahren, als ihn derselbe Rabbiner zu einer „Therapie“ überredete. Den Erfolg kann man sehen: David weint. Und unser Bild vom Rabbi als fidelem Menschenkenner erhält erste Risse. Fünf Jahre dauerten die Dreharbeiten zu diesem Dokumentarfilm, für den DuBowski Menschen in den USA, Großbritannien und Israel befragte. So fand er Steve Greenberg, den ersten US-Rabbi, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt und anderen Hilfe bietet, indem er sich innerhalb der Orthodoxie um eine tolerantere Auslegung der Schrift bemüht.

DuBowski fand auch Schwule, die unbekümmerter an die Sache herangehen als David. Der Engländer Mark etwa wurde aus mehreren Religionsschulen geworfen, bis ihn sein Vater, selbst Rabbiner, nach Israel schickte, wo er keine Homosexualität vermutete. Dort lernte Mark die Orthodoxie wieder lieben und hatte sein Coming-out. Der Fremdenführer Israel aus Brooklyn hingegen hat der Gemeinde den Rücken gekehrt und den eigenen Vater zwanzig Jahre lang nicht gesehen. Ein alt gewordener City Boy mit einer maßlosen Wut auf die bornierten Patriarchen und ihre Gesetze. Mitten auf der Straße intoniert er seinen Zorn in einem regelrechten Rap gegen einen Gott, der ihn zu einem Selbstmordversuch getrieben hat und hundertprozentig nicht der Gott sein kann, der Israel aus Ägypten führte.

Das Lesbenpärchen Malka und Leah, deren Namen im Film geändert wurden, tritt nur im Halbschatten auf, was ihren Auftritten eine merkwürdige Intimität verleiht. Aus der Not entsteht sogar ein klein wenig Kunst, wenn die beiden hinter einem Vorhang als Schattenspiel ihre Kerzenrituale vollziehen. Malka und Leah teilen die Sorge um einen gemeinsamen Platz im Himmel und um eine verheiratete lesbische Freundin. Würde diese sich offenbaren, könnte die Gemeinde ihr die Kinder wegnehmen. Viele lesbische Jüdinnen, erfahren wir, verstecken sich in Zwangsehen – selbst in Brooklyn.

Der praktisch rechtlosen Stellung der Frau in der jüdisch-orthodoxen Gemeinschaft widmet sich derzeit noch ein weiterer Film. „Kadosh“, ein Spielfilm von Amos Gitai, führt in den ultra-orthodoxen Jerusalemer Stadtteil Mea Schearim. Hier leben Meir und Rivka, die seit zehn Jahren miteinander verheiratet sind. Sie lieben sich innig, aber die Ehe ist kinderlos. Zunächst gibt dieser überaus ruhige Film einen tiefen Einblick in die Spiritualität des Judentums: stille Gebete, laute Gebete, rituelle Waschungen und die Frage, wie man am Sabbath Tee zubereitet, ohne – im strengen Sinn – zu kochen. Doch langsam zieht die religiöse Macht der alten Männer eine Schlinge um die beiden. Meir wird von den Glaubensbrüdern in der Talmudschule unter Druck gesetzt und tut, was das Gesetz vorschreibt: Er sucht sich eine neue Frau. Rivka, die ihre Fortpflanzungsfunktion nicht erfüllen konnte, fügt sich in ihr auswegloses Schicksal – dass die Unfruchtbarkeit auch mit dem Mann zusammenhängen könnte, liegt jenseits des Gedankenhorizonts der Glaubenswächter.

So zeigt auch „Kadosh“, dass die wieder erstarkte jüdische Orthodoxie wie jeder religiöse Extremismus vor allem ein gigantischer Repressionsapparat ist. Die Traurigkeit dieser hermetisch wirkenden Filme basiert auf der kaum hinterfragten Bereitschaft, die Religion mit ihren Geboten und Ausschlussmechanismen anzuerkennen: Widersprüche werden allein im Inneren ausgehalten, ein Ausbruch scheint unvorstellbar.

Mit ihren Plädoyers für Offenheit und Toleranz machen es sich beide Filme, die ihre Sympathie für den Glauben und sein Milieu trotz allem nie leugnen, jedenfalls nicht leicht. In Israel hat Sandi Simcha DuBowski damit einen Nerv getroffen. Beim Jerusalemer Filmfestival vor einer Woche rief er mit seiner Dokumentation beim Publikum ein ungeheures Echo hervor. Im Frühjahr, wenn „Trembling Before G-d“ im israelischen Fernsehen gezeigt wird, erwartet er die Proteste der orthoxen Gläubigen. Bisher haben sie von seinem Film kaum Notiz genommen.

„Trembling Before G-d“. Regie: Sandi Simcha DuBowski, USA 1999, 110 Min.

„Kadosh“. Regie: Amos Gitai. Mit: Yael Abecassis, Yoram Hattab, Meital Barda, Uri Ran Klauzner u. a., Israel 1999, 110 Min.