robin alexander über Schicksale
: ¿Cómo se dice „Käsefresser“?

Gegen die Einsamkeit der peruanischen Anden helfen nur Deutsche. Da weiß man wenigstens, was man nicht mag

Der Mensch, den ich erst einmal nur W. nenne, ist deutlich über 1,60 Meter groß, hat helle Haut und genug Geld, um sich schon tagsüber an die Theke zu setzen. Das sind drei Merkmale, die sehr selten sind, hier in Huancacalle/Peru. Unweit von hier verschanzten sich die letzten Inka-Herrscher. Was die Konquistadoren von ihren Palästen übrig ließen, ist nur einen kleinen Fußmarsch entfernt. Aber W. sitzt auf einem Barhocker vor einem importierten Flaschenbier und guckt gelangweilt auf eine Glotze unter der Decke: Vorrunde der europäischen Champions League vom Vortag. So sieht keiner aus, der sich jetzt am liebsten über die Schönheit der tropischen Fauna unterhalten will. Es ist drückend schwül, aber W. trinkt nicht, weil er Durst hat, sondern aus Heimweh. Und zwar nach Holland, da kommt er her. Der Widerspruch als Fernreisender, Sehnsucht nach zu Hause zu empfinden, schmerzt weniger, teilt man ihn mit einem ebenfalls fernreisenden Landsmann. Deshalb fallen sich auch einander völlig unbekannte Landsleute um den Hals, sobald sie sich in der Fremde treffen. Nur Deutsche stöhnen „Iihh, ein Tourist“, wenn sie einander erkennen.

Die Zeiten, in denen man Holländer auf Deutsch ansprechen konnte, sind vorbei. W. jedenfalls versteht kein Wort. Vielleicht ist das Globalisierung konkret: Wenn Holländer Spanisch, Englisch, internationale Gesten und Fragmente von Indianerdialekten bemühen müssen, um sich mit Deutschen zu verständigen.

W. freut sich augenscheinlich, mich zu treffen, obwohl er mich nicht kennt. Entwickelt sich vielleicht mit zunehmender Exotik der Reiseziele eine supranationale, kontinentale Identität? Auch von den Eingeborenen wird man ja eher undifferenziert als Europäer wahrgenommen, bereist man Kenia, die Insel Jolo oder Mecklenburg-Vorpommern. Gelte ich etwa in Peru den Holländern schon als eine Art Landsmann? Nein, ganz im Gegenteil: In der sauerstoffarmen Höhenluft der Anden, in Gegenwart einer immer entgeisterter staunenden India mit hohen Wangenknochen hinter der Theke, enthüllte mir W. den Kern der niederländischen Identität: die Abgrenzung gegenüber den Deutschen.

Zwar sind die Ressentiments der Niederländer (Moffen sind steif, drängeln am Strand und spielen hässlichen Fußball) genauso läppisch wie die der Deutschen (Käsköppe sind unseriös, drängelnd auf der Autobahn und sind Schönspieler). Doch das gepflegte nationale Vorurteil hat zu Unrecht einen schlechten Ruf. Es schafft doch in Wirklichkeit erst Kommunikation unter Nachbarn. Wer lächelt denn bei der Erzählung, wie Roland Koemann sich mit dem Trikot von Lothar Matthäus den Hintern abwischte? Die Peruanerin hinter der Theke jedenfalls nicht. Im spezifisch holländisch-deutschen Fall kommt sogar ein antifaschistisches Element hinzu. Wenn es im Stadion von Rotterdam gegen eine deutsche Mannschaft geht, singen die gefürchteten Hooligaans: „Oma, wir holen dein Fahrrad zurück“, weil die Wehrmacht in den besetzen Niederlanden alle Räder eingesammelt hat.

Eins allerdings ist seltsam: Deutsche Holländerwitze sind lange nicht so lustig wie holländische Deutschenwitze:

Why do all the trees in the Netherlands lean towards the east?

Because the wind is blowing inland from the sea?

No. Germany sucks.

Dieser Dialog blieb nicht mutwillig unübersetzt. Nein, der Witz funktioniert einfach nicht in Deutsch:

Warum neigen sich in Holland alle Bäume nach Osten?

Weil der Wind vom Meer weht?

Nein. Deutschland .  ..? Saugt? Lutscht?

„Germany sucks“, funktioniert nicht auf Deutsch. Auch nicht auf Spanisch, wie sich herausstellte. Geht auch nicht auf Quechua, wie die staunenden Wangenknochen versicherten. Aber das eigentliche Phänomen ist: „Germany sucks“ funktioniert auch nicht im Niederländischen. Die Pointe ist unübersetzbar. Und das, fanden jedenfalls W. und ich, ist wirklich ein Phänomen: Es handelt sich um einen fremdenfeindlichen Scherz, der nur in einer fremden Sprache funktioniert. Was bedeutet es für Menschen, wenn sie ihre Vorurteile gegen die Nachbarn nicht mehr in der Muttersprache ausdrücken können? Oder anders: Wie lange bleiben die Niederlande niederländisch und Deutschland deutsch genug, um sich gegenseitig fröhlich nicht zu mögen? In Peru fanden wir keine Antwort, tauschten aber E-Mail-Adressen.

– Du heißt Robin? Das ist doch gar kein deutscher Name!

– Und du?

– Walter.

– Das ist ein deutscher Name.

– Neiiiin!

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