Die Materialbeschafferin

Von der Verhütungsbroschüre zum Noppendildo: Die Sex-Unternehmerin Beate Uhse hatte eine beispiellose Karriere

von JAN FEDDERSEN

Bei gewissen Dingen konnte sie nicht aus ihrer Haut. Tippfehler auf offiziellen Schreiben sah sie sofort. Erschien ein Journalist verspätet zum Interview, konnte sie streng wie eine Lehrerin werden. Verabredung ist Verabredung, da gelten keine Ausreden. Beate Köstlin, verheiratete Uhse, neu verheiratete Rotermund, war da ganz mit sich im Reinen. „Eine Preußin durch und durch“, sagte sie einmal über sich selbst. Diszipliniert, überlebenswillig, schnörkellos. Aber auch, so wird sie ebenfalls geschildert, herzlich und aufmerksam. Kein schlechter Katalog an Wesenszügen, um als Kauffrau Karriere zu machen.

Beate Uhse machte sie, und wie. 1919 kam sie als Tochter eines Gutsbesitzers und einer Landärztin in Ostpreußen zur Welt. Ausbildung zur Haushaltsgehilfin, später Au-pair-Mädchen in England. In beiden Jobs lernte sie kennen, was die Menschen denken – und brauchen. Mit 18 machte sie den Pilotenschein, wurde im Zweiten Weltkrieg sogar Testpilotin in einem Flugzeugwerk. Im Range eines Hauptmanns der Luftwaffe endete für sie der Nationalsozialismus. Mit einem Wehrmachtsflugzeug entkamen sie – inzwischen Witwe des Wehrmachtspiloten Hans-Jürgen Uhse – und ihr Sohn Klaus im Frühjahr 1945 der Roten Armee mit der Flucht nach Flensburg.

Von dort aus sollte sie berühmt werden – bekannter und am Anfang gefürchteter als viele Politiker. Denn nach kurzer Kriegsgefangenschaft handelte sie in einem fliegenden Gewerbe mit Spielzeug und Knöpfen. Aus ihrem Bauchladen am meisten nachgefragt wurde allerdings eine Broschüre mit Verhütungstipps – gut katholisch nach der Knauss-Ogino-Methode. Wie eine Tupperware-Propagandistin erkannte sie die Bedürfnisse ihrer Kundschaft. Und Uhse realisierte wie eine exzellente Kauffrau: Das ist also die Ware, auf die es den Menschen ankommt. Schriften und Utensilien des Sexuellen, Materialien aus der Welt des Begehrens (und der daran geknüpften Angst vor unerwünschten Schwangerschaften).

Im Februar 1951 gründete sie ihr „Spezialversandhaus für Ehe- und Sexualliteratur und für hygienische Artikel“ in Flensburg. Sexmaterialien per Post: Das war der Clou. In neutralen Umschlägen, ohne dass die Nachbarn etwas merken. Deutschland war damals so: christlich-abendländisch-prüde an der Oberfläche, gierig nach den Sachen, die Uhse anbot im Innersten. Ehe sie im Dezember 1962 in Flensburg den ersten Sexshop der Welt eröffnen ließ, hatte sie ihre mächtigsten Marketingstrategen stets an ihrer Seite: die Sittenwächter in Gestalt der Staatsanwaltschaften.

Rund 2.000 Ermittlungsverfahren hatte Uhse am Hals, die allermeisten blieben folgenlos. Nie konnte ihr nachgewiesen werden, dass sie die Pornografie befördere, dass sie andere Menschen belästige oder zur Notzucht anhalte. Immer und immer wieder konnte sie darauf verweisen, dass alles, was ihre Warenlager verlässt, von den Menschen selbst vorher bestellt wurde. Waren es nun Noppenkondome, Bananendildos, Vibratoren. Und hießen die Artikel nun „Pariser Luxuswäsche“, „Erotik des Weibes“ oder „Ariadne-Sex-Bad“ – Signaturen der Verklemmung, wie man heute erkennen kann, damals aber unglaublich gleißende Versprechen auf eine Sexualität für eine Kundschaft, die ingenieurhafte Stimulation mit Erotik und sexuelles Material mit Lust verwechselte.

Uhse trat dabei vor deutschen Gerichten oft selbst in Erscheinung. Mit Kurzhaarfrisur, eloquent, kühl, von guten Anwälten beraten, sagte sie häufig diesen einen entscheidenden Satz: „Ich bin Geschäftsfrau, nichts weiter.“ Und keine Puffmutter, sollte das auch bedeuten. Und mit Blick auf die Kuppel-, Pornografie- und Sexualstrafrechtsgesetze, deren Verletzung ihr nie nachgewiesen werden konnte: „Ich biete nur an, was in Deutschland auch legal ist.“

Und damit hatte es sich. Gerne wäre sie irgendwann schon in den Fünfzigerjahren von ihrer Stadt Flensburg als Unternehmerin willkommen geheißen worden, hätte vielleicht Ehrungen auf sich geladen. Aber die feine hanseatische Gesellschaft wollte nicht. Verwehrte ihr den Zutritt in die Handelskammer, lud sie zu keinen feinen Gelegenheiten ein – und verweigerte ihr obendrein den Eintritt in den örtlichen Tennisverein. Uhse mag dies verletzt haben, aber sie antwortete dieser Heuchelei auf ihre Weise: Mit ihrem Geld baute sie einen eigenen Court.

Vielleicht hätte sie auch Anfang der Siebzigerjahre jede Lust verloren, mit den feineren Kreisen Flensburgs zu spielen. Damals, nach der Scheidung von ihrem zweiten Mann Ernst-Walter („Ewe“) Rotermund, lernte sie in Florida einen Mann, ihren neuen Liebhaber, kennen. Mit ihm wurde Uhse wirklich zur unmöglichen Person: Denn er war nicht nur viel jünger als die damals 52-Jährige, sondern auch noch – schwarz. Was das an lüsternen Horrorfantasien gerade bei den eingeborenen Deutschen in Uhses Alter ausgelöst haben mag, kann man sich denken. Uhse meinte immer nur: „Ich kann nichts dafür, dass er schwarz ist. Ich liebe ihn einfach.“

All dieses souveräne Sprechen in eigener Sache hätte der damaligen Linken, den Achtundsechzigern, ein Wink sein können, dass Beate Uhse eine Kämpferin, ja eine Feministin ist, die es für die Sache einer liberalen Republik zu gewinnen gälte. Doch das Materiallager namens Uhse wurde in diesem Milieu für ebenso des Teufels gehalten wie in katholischen Kreisen. Günter Amendt, Ende der Sechzigerjahre Autor des Bestsellers „Sexfront“, schilt sie bis heute als Wegbereiterin der Verdinglichung des Sexuellen, als diejenige, die dem Sexuellen die subversive Kraft genommen hat – Uhse als Manipulatorin. Ganz so, als hätte der Kapitalismus eine wie sie ermöglicht, um dem Sexuellen das Erotische, das Intime zu nehmen.

Uhse hatte auf solche Diskussionen nie Lust, vielleicht auch, weil sie sie nicht verstand. Nur dies war ihr Credo: „Ich bin weder stolz, noch schäme ich mich.“ Was sie aber einräumte, dass es für den Erfolg ihres Unternehmens von Vorteil war, dass sie eine Frau ist: „Bei einem Mann hätte es immer geheißen, der ist ein Dreckschwein.“