Grenzen der Wahrheitsfindung

Beim seit März laufenden RZ-Prozess wurden die Vorwürfe gegen die fünf Angeklagten bisher kaum erörtert. Nach der Sommerpause wollen die Verteidiger das ändern

Es hätte der letzte Prozesstag vor der Sommerpause werden sollen. Doch dann wollte sich selbst die Gerichtsvorsitzende Gisela Hennig gestern nicht mit den fragmentarischen und widersprüchlichen Angaben des Zeugen Klaus Schulzke zufrieden geben. Nun muss der ehemalige Ermittlungsführer beim Bundeskriminalamt (BKA) in Sachen Revolutionäre Zellen (RZ) heute ein weiteres Mal in den Zeugenstand, um im Prozess gegen fünf mutmaßliche RZ-Mitglieder vor dem Kammergericht auszusagen.

Im Mittelpunkt der Anhörung Schulzkes stand die Identifizierung des Angeklagten Matthias Borgmann. Der Kronzeuge Tarek Mousli will in dem Beschuldigten ein RZ-Mitglied mit dem Decknamen „Heiner“ wiedererkannt haben, als ihm der BKA-Mann Lichtbilder von über 50 Personen vorgelegt hatte. Doch wie diese Vernehmung im Januar 2000 tatsächlich verlaufen ist, konnte der pensionierte Kriminalbeamte nicht erklären.

Wurde Mousli rechtswidrig mit Angaben über „Heiner“ konfrontiert, kurz bevor bei der fotografischen Gegenüberstellung genau das Bild von Borgmann an der Reihe war? Und was geschah, als der Kronzeuge zunächst einen anderen identifizierte? Wurde er darauf hingewiesen, dass dieser Mann längst ins Ausland abgetaucht war, als Mousli jenen „Heiner“ auf einem konspirativen Waldspaziergang Ende der Achtzigerjahre in Berlin getroffen haben will? Wie es denn nun wirklich war, wollte Borgmanns Rechtsanwältin Edith Lunnebach wissen. „So, wie es in den Akten steht“, reagierte der verunsicherte BKA-Beamte. Seine eigenen Erinnerungen schienen jedoch eher spärlich.

Etwas offenherziger gab sich dagegen gestern der zuständige Referatsleiter bei der Bundesanwaltschaft (BAW) Peter Morré, der ebenfalls bei den Vernehmungen von Mousli beteiligt war. Unter den Beamten sei schon vorab relativ klar gewesen, dass es sich bei „Heiner“ um Borgmann handeln müsse.

Widersprüche, Mauscheleien, Ungereimtheiten – seit der RZ-Prozess Ende März erstmals begonnen hat, konnte kaum nachvollzogen werden, unter welchen Umständen der Kronzeuge seine umfangreichen Beschuldigungen formuliert hat. Eingeschränkte Aussagegenehmigungen von Bundesanwälten, zurückhaltende Fragen des Gerichts und Erinnerungslücken Mouslis setzten enge Grenzen. So wollte sich der Kronzeuge vergangene Woche erst nach intensivem Nachhaken von Verteidigern an seine rund 100.000 Mark Schulden erinnern. Ob ihn deshalb finanzielle Angebote im Rahmen des BKA-Zeugenschutzprogramms zu seinen Aussagen bewogen haben, blieb aber ungeklärt.

Die Tatvorwürfe selbst – mehrere militante Anschläge im Zuge einer „RZ-Flüchtlingskampagne“ in den Achtzigerjahren – standen bislang eher im Hintergrund des Verfahrens. Das dürfte sich aber spätestens ändern, wenn nach der Sommerpause Mitte August die Verteidigung den Kronzeugen befragen wird. War Mousli bisher vor allem mit den vorsichtigen Fragen der Richterin Hennig konfrontiert, so wird er dann den zehn AnwältInnen der Beschuldigten Rede und Antwort stehen müssen. Wie lange das Verfahren dauern wird, ist also noch nicht abzusehen. WOLF-DIETER VOGEL