Die Felder verdorren, die Menschen hungern

Eine Dürre ist nicht der einzige Grund für die derzeitige Hungersnot in Zentralamerika. Dazu kommen wirtschaftliche und ökologische Ursachen

SAN SALVADOR taz ■ Für die Regierungen Zentralamerikas war der Schuldige schnell gefunden: das Wetter. Im Mai hätte eigentlich die tropische Regenzeit beginnen sollen. Aber außer ein paar schweren Gewittern ist da nichts gewesen. Die Folge: Die Felder verdorren, die Ernte bleibt aus, die Menschen hungern.

Aus dem Norden von Nicaragua werden die ersten Toten gemeldet. In Honduras wird in dieser Woche damit begonnen, Lebensmittel an 300.000 Hungernde zu verteilen. Sie ernähren sich seit Monaten nur noch von Früchten und Wurzeln. Landarbeiterorganisationen haben Protestmärsche angekündigt. Weltbank-Berater in der Region befürchten soziale Unruhen. Denn außer dem Wetter gibt es noch weitere Schuldige.

Vor allem in Nicaragua, El Salvador und Guatemala sind es weniger Campesinos mit einem eigenen Fleckchen Erde, die nichts mehr zum Kauen haben. Die große Mehrheit sind Wanderarbeiter, die schon seit Monaten mit ihren Familien von Kaffeeplantage zu Kaffeeplantage pilgern und nirgends eine Anstellung finden. Der Preis der Bohnen ist seit Monaten so im Keller wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. An der New Yorker Börse werden zwischen 50 und 60 Dollar für 100 amerikanische Pfund geboten.

Das liegt deutlich unter den Produktionskosten. Viele Plantagen haben deshalb den Betrieb eingestellt. Allein in El Salvador sind 21.000 Fincas so überschuldet, dass sie eigentlich Konkurs anmelden müssten. „Was wir gerade erleben, ist der Leichenschmaus der Kaffeepflanzer“, sagt Agustín Calderón, Vizepräsident des Verbands der salvadorianischen Kaffeeproduzenten.

Die Trockenheit traf vor allem Honduras. Acht der 16 Provinzen sind von der Dürre betroffen. Selbst unter klimatisch günstigen Bedingungen gibt es in Honduras Hunger. Das Land, das in den 60er-Jahren seine Nachbarn mit Grundnahrungsmitteln versorgte, muss inzwischen auch in guten Jahren gut 100.000 Tonnen Mais importieren.

Schuld daran ist eine Wende in der Agrarpolitik Anfang der 90er-Jahre. Seither setzen die neoliberalen Regierungen auf die exportorientierte Agrarindustrie: Bananen, Zuckerrohr, Ölpalmen. Die unrentable Versorgung der eigenen Bevölkerung wurde kleinen Landwirten überlassen. Die haben kein Geld zur Bewässerung ihrer Felder. Jede Trockenperiode hat automatisch eine Hungersnot zur Folge.

Die Dürren folgen immer schneller aufeinander. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es alle zehn Jahre eine außergewöhnliche Trockenperiode. In den vergangenen zwanzig Jahren trat alle zwei Jahre eine Dürre auf. Mauricio Sermeño von der regierungsunabhängigen Öko-Forschergruppe Unes führt dies vor allem auf die Abholzung Zentralamerikas zurück. 4.000 Quadratkilometer Regenwald pro Jahr werden geschlagen. Zwei Drittel des ursprünglichen Bestands sind bereits vernichtet. „Wenn mit der selben Geschwindigkeit weiter abgeholzt wird, gibt es in 25 Jahren keinen einzigen Baum mehr“, sagt Sermeño. Eine Studie des UN-Entwicklungsprogramms geht davon aus, dass sich die durchschnittliche Jahrestemperatur in der Region bis zum Jahr 2075 um zwei Grad Celsius erhöhen wird.

Außer Dürren erwartet Sermeño schwere Probleme bei der Trinkwasserversorgung. Fast alle Oberflächengewässer Zentralamerikas sind mangels Umweltschutzauflagen verseucht. Der Grundwasserspiegel sinkt stetig. In vielen Dörfern gehen die Menschen schon heute Stunden bis zur nächsten Quelle. Der Krieg ums Wasser werde für die nächste soziale Explosion in Zentralamerika sorgen, sagt der Ökologe. Und die werde noch viel existenzieller werden als die Bürgerkriege der 80er-Jahre.

TONI KEPPELER