„Gesellschaft braucht die Verelendeten“

Zum heutigen Gedenktag für verstorbene DrogenkonsumentInnen mahnen Eltern von Süchtigen ein Umdenken in der Politik an. Stagnation unter rot-grün  ■ Von Elke Spanner

Der Tod, sagt Hansjürgen Senft, „war auch bei uns schon im Haus“. Er zog vorbei, „Gott sei Dank“, oder wem auch immer. Das Verdienst der hiesigen Drogenpolitik jedenfalls sei es nicht, dass sein Sohn noch am Leben ist. Die vielen Drogentoten, das ganze Elend, „da waren Typen bei uns im Haus, oh Gott oh Gott“, sagt er und schüttelt noch heute den Kopf. Jetzt aber ist er nicht mehr wütend auf sein Kind, das mit dem Heroin mutwillig sein Leben verpfuschte, wie er es damals empfand. Heute ist er wütend auf die hiesige Drogenpolitik, denn würde die endlich das Verbot von Cannabis und Heroin aufheben, stößt er entnervt aus, dann „wären alle Probleme weg“. Barbara Smith pflichtet bei. Es gibt keine Drogentoten, sagt sie dann. „Politiktote“ nennt sie die Männer und Frauen, denen der heutige „bundesweite Gedenktag für verstorbene DrogenkonsumentInnen“ gewidmet ist.

Vor 15 Jahren noch hätte sich Senft niemals träumen lassen, dass er eines Tages so reden würde. Damals gab es für ihn nur richtig und falsch, gut und böse, und Drogen waren für ihn ein „Teufelszeug“. Vierzehn Jahre alt war sein Sohn, als er anfing, Drogen zu nehmen. Nicht mal darüber reden wollte er damals mit dem Kind. Das ist Teufelszeug, fertig. Ein anständiger Mensch hat damit nichts zu tun, herrschte er den Jungen an, und wenn der dann noch eine Bemerkung zu Vaters Bierkonsum machte, war sowieso alles vorbei. Die schnippischen Anspielungen wurden seltener, die Gespräche auch.

Es brauchte zwei Schlüsselerlebnisse, bis Senft anfing, sich über Drogen überhaupt Gedanken zu machen. Das eine hatte er, als Mitte der achtziger Jahre die Mohnkapseln verboten wurden, aus denen sein Sohn sich zuvor regelmäßig Tee gekocht hatte. Er hatte das verrückt gefunden, aber was solls, dem Jungen ging es gut, und seinen Wehrdienst leisten konnte er in der Zeit auch. Dann wurde der Verkauf der Kapseln untersagt, und statt in die Abstinenz ging der Sohn auf den Schwarzmarkt zurück. Heroin, Tabletten, was immer es zu erwerben gab, jedenfalls war wieder „sein ganzes Handeln und Sinnen darauf ausgerichtet, Stoff zu besorgen“.

Das zweite Schlüsselerlebnis hatte Senft dann drei Jahre später, als sein Junge, damals 26 Jahre alt, plötzlich nicht mehr auf den Schwarzmarkt angewiesen war. Ein Freund gab ihm von seinem Codein etwas ab, und als Senft das erlebte, setzte bei ihm ein radikales Umdenken ein. Auf einmal „brauchte er nicht mehr loszugehen, um sich was zu besorgen“. Auf einmal war er für seinen Vater wieder ansprechbar. Er war wieder der Junge, den er kannte, „ich hatte mein Kind wieder“, fasst Senft zusammen, was er damals empfand. Dem Elternkreis Drogenabhängiger, der Substitution verpönte und auf totaler Abstinenz beharrte, kehrte Senft den Rücken zu.

Auch Barbara Smith musste durch eine harte Schule gehen, ehe sie sich bei „Elan“, der „Eltern- und Angehörigeninitiative der akzeptierenden Drogenarbeit Kreis Stormarn“, für die Freigabe von Suchtstoffen, für Konsumräume und Substitution stark machte. Auch sie wollte zunächst am liebsten die Augen verschließen, als sie vor rund 17 Jahren entdeckte, dass ihr Sohn heroinsüchtig war. „Man will nur, dass alles wieder normal wird“, sagt sie. Dass der Sohn wieder „normal“ zur Schule geht und sich normal mit seinen FreundInnen trifft. „Aber so ist es einfach nicht“, sagt sie. „Wir müssen die Kinder vielmehr fragen, womit kommst Du jetzt zurecht, wie kann es Dir mit der Sucht besser gehen?“

Die einzig wirkliche Perspektive, ist sie heute überzeugt, läge darin, in der Drogenpolitik „ganz neue Wege zu finden“. Über Handel müsste endlich geredet werden, darüber, wie Süchtige Stoff bekommen, bei dem sie sich darauf verlassen können, dass er nicht verdreckt ist und in der Menge kontrolliert werden kann. Stattdessen schiebe die Stadt seit Jahren das Heroin-Modellprojekt vor sich her, einen Arzneimittelversuch, von dem nicht einmal eine Handvoll Junkies profitieren werde. Dabei „gibt es genug Erfahrungen aus der Schweiz, auf die man zurückgreifen kann“.

Vom rot-grünen Senat jedenfalls hatte sich „Elan“ vor vier Jahren eine ganze Menge versprochen, doch statt der erhofften Projekte: Stagnation. Einen zweiten Konsumraum in St. Georg gibt es immer noch nicht. Erst jetzt, im Wahlkampf, werde Crack ein Thema, dabei „bräuchten wir schon lange Ruheräume und Akupunktur“. Und jetzt hat der Senat auch noch das neue Handlungskonzept für St. Georg beschlossen. Jetzt, sagt Smith, wird es für die Süchtigen noch schwieriger, an ihren Stoff heranzukommen. Die Preise werden steigen, und damit auch die Beschaffungskriminalität, „bis sich irgendwann niemand mehr in die Stadt trauen wird“. Ein Umdenken sei gefragt, und zwar schnell. Doch dazu, sagt Smith und lacht, „ist die Gesellschaft viel zu versteinert“.

Senfts Sohn bekommt mittlerweile Methadon, und sein Vater sagt, es geht ihm gut. Im Grunde aber, sagt er, braucht die Gesellschaft die verelendeten Leute am Hauptbahnhof. Denn für die meis-ten Menschen gibt es eben nur gut und böse, so wie früher auch für ihn. Und wer mit dem eigenen Leben unzufrieden ist, kann zumindest noch mit dem Finger auf die Männer und Frauen am Hauptbahnhof zeigen. Dabei, sagt Senft, schneidet sich dieser Teil der Gesellschaft ins eigene Fleisch, wenn er nach wie vor auf dem Verbot einzelner Drogen beharrt. Eine Bekannte von ihm ist krebskrank, und die Chemotherapie bekommt ihr nicht. Ständig ist ihr schlecht, und Cannabis, weiß Senft, könnte die Beschwerden lindern. Das deutete er zaghaft an. Doch seine Bekannte erwiderte: „Eher kotze ich mir die Seele aus dem Leib, ehe ich das Zeug anrühre.“

Kontakt zu Elan: 041 02 301 68. Mahnwachen zum Gedenken an verstorbene DrogenkonsumentInnen: 10-12 Uhr Rathaus Ahrensburg, 13-17 Uhr Hauptbahnhof/Hachmannplatz. 17 Uhr: Gedenkgottesdient in der St. Georgskirche