Der Fälscher

■ Wer genauer hinsieht, fällt vom Glauben ab: Die Bremer Kunsthalle zeigt Fotografien und Bildmanipulationen von Jörg Sasse

Eine harmlose Küstenlandschaft. Auf die Dünenkuppen sind knöchelhohe Pflanzen getupft. Ganz hinten am Strand branden Wellen. Vorne auf dem Bild, das jetzt in der Bremer Kunsthalle hängt und zum Hineingehenwollen groß ist, liegt ein durchgesägter Baumstamm quer. Und davor stehen drei Papierkörbe mit Plastikmüllsäcken drin – ganz so, wie es aussah beim letzten Urlaub in Hennestrand, Dänemark.

Jörg Sasse, der dieses Bild gemacht hat, ist auf den ersten Blick ein Schnappschießer unter den Fotokünstlern. Die Ecke eines Sessels, der Teil einer Schranktür, ein Feld mit Schachtelhalmen, eine aus dem fahrenden Auto aufgenommene Allee oder eben Strandszenen sind seine Motive. Die bläst der 1962 geborene Düsseldorfer auf bis zu 2,20 Meter Größe auf. Wie eigene Erinnerungen und flüchtige Wahrnehmungen wirken diese Bilder beim Vorübergehen, und wenn sie so auf einen wirken, ist man schon auf Jörg Sasse hereingefallen.

Der bei Bernd Becher – neben seiner Frau Hilla eine der Ikonen der deutschen Fotokunst in der Nachkriegszeit – ausgebildete Enddreißiger verhagelt einem den Glauben an das Bild und seinen Wahrheitsgehalt. Besonders seine jüngeren Fotografien oder Fotoarbeiten erwecken zwar den Eindruck, dass das Abgebildete irgendwo stattgefunden hat. Allein sie erwecken nur den Eindruck. Denn Sasse ist ein subtiler Fälscher und Manipulator.

Bei näherem Hingehen und Hinsehen, verschwimmen Baumstamm und Dünen der Strandlandschaft zu einem undefinierbaren Ensemble von Farbclustern, -punkten und -flächen. Und umgekehrt erscheint das abstrakt-konstruktivistische Foto an der Wand um die Ecke aus der Nähe als das Stück einer Schranktür, auf der jemand mit Lack ordentlich herumgepfuscht hat. Einerseits ersteht mit den Mitteln der Fotografie und der digitalen Bildbearbeitung die pointilistische Komposition der Impressionisten wieder auf. Andererseits verbirgt sich im „Schönen“ das Profane. What you see, is just what you believe lautet die Regel in dieser Regellosigkeit, aber wenn du genauer hinsiehst, fällst du vom Glauben ab. Und das ist dank der Innenarchitektur des Kunsthallen-Neubaus mit seinen Durch- und Weitblicken ein Sturz, der Freude macht.

Abgesehen von seinem Frühwerk, in dem er Alltagsgegenstände wie Vasen, Kaffeekannen oder Papierhalter isoliert inszeniert und auf diese Weise neu deutet, sind die meisten seiner Bilder am Computer bearbeitet. Amateur- und eigene Fotografien, die bei ihm daheim zu einer immer größeren Sammlung anwachsen, sind die Vorlagen für „unglaubliche“ Bilder: Häuser, die in eine Landschaft verplanzt wirken, denen aber tatsächlich nur der Zuweg entfernt wurde; durch Unschärfen oder – im Gegenteil – durch Schärfung der Konturen unwirklich gemachte Wirklichkeiten entstehen in Sasses Universum. Das ist meist schon wieder malerisch, hat immer einen ästhetischen Reiz und scheint schön, fast zu schön. Zugleich reiht sich diese Kunst ein in die Kette von Beiträgen zur Konstruiertheit aller Wirklichkeit, die bei Sasse übrigens fast menschenleer ist. „Kollege Thomas Ruff“, sagt er, „hat das auf den Punkt gebracht: Man kann Menschen sehen mit jeder Pore, aber man kommt der Person nicht nahe.“ So tauchen Menschen bei Sasse als winzige Gestalten auf, sind Kompositionselement eines Bildes oder treten indirekt als pfuschende Anstreicher oder als Leute, die Nippes herstellen, auf.

Wie in Jewgenij Samjatins utopischem Roman „Wir“ vom Anfang der 20er Jahre, in dem die Menschen keine Namen, sondern Nummern tragen, sind auch Sasses Bilder numeriert. Nach Zufall gibt er den Bildern vierstellige Ziffern und hängt bloß die Jahreszahl dran. Auf seinen Internet-Seiten www.c24.de kategorisiert er die Bilder zwar. Doch ein Strandbild ist uns bloß ein Strandbild aus Bequemlichkeit. Sasses Bilder machen dem Gehirn Arbeit. Die ist allerdings nicht allzu schwer. ck

Jörg Sasses „Arbeiten am Bild“ bis zum 23. September in der Bremer Kunsthalle. Eröffnung: Sonntag, 22. Juli, 11.30 Uhr in Anwesenheit des Künstlers. Künstlergespräch mit dem Kurator Andreas Kreul am 28. August, 18 Uhr. Katalogbuch „Arbeiten am Bild“ unter anderem mit einem Aufsatz des Bonner Hirnforschers Detlef B. Linke: 68 Mark (Verlag: Schirmer/Mosel). Jörg Sasse hat die meisten seiner Arbeiten unter www.c24.de im Internet veröffentlicht.