Stumpf ist Trumpf

Der Streit zwischen „Titanic“ und Benjamin von Stuckrad-Barre. Ein Schlusswort

Ein Teil der Arbeit eines Satirikers besteht darin, den Abfall runterzutragen, mit dem die Öffentlichkeit vollgekübelt wird. Ob die Produzenten aggressiven medialen Mülls Helmut Markwort heißen, Hartmut Engler, Gerhard Schröder oder Alice Schwarzer, ist dabei gleichgültig. Wer die Welt mit der fiesen Mischung aus Dummheit und Penetranz vollmetert, wird in die Tonne getreten. Das tut den an sich selbst Vorgeführten zwar nicht wirklich weh, hat aber kathartische Wirkung und spendet den Trost, den Komik und Wahrhaftigkeit spenden können.

Seit mehr als 21 Jahren ist das Satiremagazin Titanic als Müllabfuhr unterwegs und dabei ein bißchen müde und matt geworden. Der 26-jährige Benjamin von Stuckrad-Barre ist gerade ein paar Jahre im Geschäft; auch seine Arbeit besteht partiell darin, Medienmutanten als solche bloßzustellen. Da er aber sehr populär ist, seine Bücher sich sehr gut verkaufen und er nicht selten im Fernsehen zu sehen ist, halten ihn nicht wenige selbst für eine öffentliche Last.

Attacken gegen Stuckrad-Barre werden allerdings oft bedauerlich unintelligent vorgetragen; statt dem Autor seine Fehler vorzuhalten, sie zu benennen und zu belegen, verlassen sich seine Gegner auf einen kumpeligen Deal mit dem Publikum: Wir alle wissen ja, dass der blöd ist, deshalb muss man gar nicht sagen, wie und warum, es reicht die Nennung des Namens, und dann kann einvernehmlich gelacht werden. Das ist langweilig affirmativ: Schreiber und Publikum können endlos die stupide Freude an einem einmal gefällten Urteil oder bloß Vorurteil rekonstruieren.

Titanic steht traditionell im Ruf, solch öde Praktiken nicht nötig zu haben, sondern dem Publikum die Schönheit des wohlformulierten Arguments zu gönnen. Die Zeiten solcher Großzügigkeit aber sind vorbei: Bei den aktuell tätigen Frankfurter Witzwarten ist stumpf längst Trumpf. Zu ihrer Konkurrenz Stuckrad-Barre fiel den mäßig talentierten halbjungen Männern von Titanic nur Witzloses ein: Ein Foto des Kindermörders Stefan Jahn wurde mit dem Namen Stuckrad-Barre versehen und als Anzeige für angebliche Lesungen des Autors im Knast abgedruckt. Höhöhö. Der krypische Witz aus Titanic 5/01 wurde wiederholt: Die Titanic 7/01 zeigte ein Foto des hingerichteten Massenmörders Timothy McVeigh mit der Aufschrift: „Benjamin von Stuckrad-Barre liest – Abgesagt“. Das ist so lustig wie ein ungelüftetes Herrenpissoir.

So weit, so blöd, so schäbig. Hätte Stuckrad-Barre die aufdringlichen Humorversuche souverän ignoriert, allein Titanic hätte den öffentlichen Schaden gehabt, jedenfalls beim restintelligenten Publikum. Auch eine Maulschelle gegen den Chefwitzbold Martin Sonneborn hätte ihren Charme gehabt. Leider aber zog der Autor vor Gericht und erwirkte eine einstweilige Verfügung, die Titanic bei Androhung eines Ordnungsgeldes von 500.000 DM verbietet, das Juliheft weiter zu verbreiten. Nichts besseres hätte Titanic passieren können. Es war das klassische gefundene Fressen. Den Frankfurter Redakteuren half Stuckrad-Barre aus der Verlegenheit, keine Gedanken zu haben. Genüsslich konnten sie sich an seine Dummheit anflanschen, aus schlechten Witzen eine Justizangelegenheit zu machen. Stuckrad-Barres Anwalt Christian Schertz versäumte es, als Rechtspfleger tätig zu werden und seinem Mandanten sein Begehren auszureden. Er ließ auch zu, dass Stuckrad-Barre empört erklärte, Titanic vermarkte den Fall „massiv zur Auflagensteigerung“. Natürlich, was denn sonst, wenn das Blatt die Gelegenheit gratis geliefert bekommt? Und schier zur Verzweiflung trieb den gewogenen Betrachter Stuckrad-Barres Erklärung, Titanic verhöhne „auch und insbesondere die Opfer brutaler Gewaltverbrechen und ihre Angehörigen.“ Den Vogel schoß der Autor dann mit seiner 10.000-Mark-Spende an den hochdubiosen Verein „Dunkelziffer e.V.“ ab, der nach der Methode Dunkel ist der Ziffer Sinn die öffentliche Gewalthysterie schüren hilft. Da hatte Sonneborn dann endgültig gewonnen und feixte die Welt mit seinem Triumph voll, den er allein der Kurzsichtigkeit und Schlechtberatenheit seines Gegners verdankt.

Mit dem einzigen Pfund, das er hat, will Sonneborn noch lange weiter wuchern. „Der Vorgang verdient Öffentlichkeit“, tönte er und erklärte die Absicht, die Öffentlichkeit auch weiterhin mit schwanzvergleichartigen Witzen zu belästigen. Sonderlich resozialisierbar wirkt Sonneborn nicht; ein Jahr Öffentlichkeitsabstinenz könnte ihm aber vielleicht noch helfen. Auch seinem Kontrahenten Benjamin von Stuckrad-Barre würde ein längerer Medienurlaub guttun. Er könnte eine gute alte Regel verinnerlichen: Ein Gentleman verklagt nicht, ein Gentleman wird allenfalls verklagt. WIGLAF DROSTE