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: Weltverbesserer und die Macht

Die Deutschen sind notorische Weltverbesserer. Ein Touristenführer in Kairo erzählte mir: „Schon nach zehn Minuten im Bus wissen deutsche Touristen, wie man den Verkehr besser regelt, den Abfall besser beseitigt und überhaupt ganz Ägypten schöner und angenehmer machen kann.“ Dieser unselige Hang zur Verbesserung hängt mit der Orientierung der deutschen Gebildeten an der Macht zusammen: Sie wurden meist Privatlehrer beim Adel und träumten davon, statt dessen missratene Kinder zu zähmen, den wahren Mächtigen als Ratgeber zu dienen.

Die Goethe-Macke: Der Geheimrat hat es vorgemacht, selbst Napoleon war beeindruckt: „So ein großer Mann!“, sagte er. Dabei zeigt dieser weimarische Konsultant bereits exemplarisch, wie Leben und Werk sich dabei gegenseitig negieren: Während er z. B. im „Faust“ sehr einfühlsam eine Kindermörderin schildert, plädierte er als Mitglied des Herzoglichen Rats für die Todesstrafe für Kindesmord. Um das Zuchthaus finanziell zu entlasten, verkaufte er die Gefangenen nach Amerika, wo sie gegen die Befreiungsbewegung kämpfen und sterben mussten. Er ließ die Jenaer Studenten bespitzeln, legte sogar eine „Akte Schiller“ an und vertrieb den allzu fortschrittlichen Professor Fichte.

Neulich lauschte ich einem Vortrag des Öko-Ratschlägers Ernst Ulrich von Weizsäcker – im Berliner Adelsclub. Was er sagte, war nur allzu wahr, aber sturzdröge. Nur wenn er auf seine Nähe zu Mächtigen zu sprechen kam, dass er z. B. einmal fast Präsident Clinton einen Rat geben konnte, wurde es etwas farbiger. Ich fragte mich die ganze Zeit, wann er denn endlich auf die Kernfrage – die Organisation der Massen – zu sprechen käme. Aber da kam nichts! Es ging nur um die Organisation seiner selbst bzw. seines Wuppertal Instituts – damit dieses den Mächtigen noch näher und effektiver gerate.

Ähnlich enttäuschend sind für mich auch die Parteiprogramme – von der PDS und den Grünen z. B.: Wen interessiert es, was sie wollen – im Einzelnen und zu allen möglichen gesellschaftlichen Problemen? Das einzig Spannende ist doch die Frage der Organisierung ihrer Kämpfe für all diese hehren Ziele. Und dabei haben gerade die Grünen es vorgezogen, dieses Problem mainstreamig zu lösen – d. h. mit Plakatwerbung und Partei-PR. Zuvor gab es ein paar grünennahe Stiftungen, die den Basisbewegungen nicht nur finanziell zuarbeiten sollten. Dann wurden sie jedoch vollkommen umgedreht, d. h., sie sollten fürderhin die Parteispitze intellektuell munitionieren.

Das kam schon im neuen Sitz der Heinrich-Böll-Stiftung zum Ausdruck, die jetzt ausgerechnet in den Hackeschen Touristen-Höfen domiziliert. Also in einer Gegend, wo es von aktionistisch gesinnten Ökos nur so wimmelt. Mit anderen Worten: Die Verwandlung vom Rädelsführer (der Armen) zum Ratgeber (der Reichen), das ist genau das, was immer wieder rückgängig gemacht werden muss. Für die Kampfziele reicht es, sich die altägyptischen Sklavenlieder einzuprägen: Darin wird laut Brecht bereits alles gesagt – „es hat sich bis heute nichts verändert“. Und dazu gehört auch, alle Macht endgültig zu deprivatisieren. Ein Massaker unter den Ratgebern – darauf läuft die wahre Weltverbesserung hinaus. HELMUT HÖGE