Platz fünf zählt nicht mehr

Bei Olympia in Sydney wurde die Schweiz dank der Frauen stärkste Triathlonnation, die hochfliegenden Hoffnungen bei der Weltmeisterschaft ruhen allein auf Ex-Europameister Reto Hug

„Sydney hat mich nicht dahin gebracht, wo ich hingehöre.“

aus Edmonton FRANK KETTERER

Der Satz ist bei Triathleten überaus beliebt, und also sagt ihn auch Reto Hug, wenn er von der Weltmeisterschaft im kanadischen Edmonton spricht. „Überall dabei sein“ will der Mann aus Basel dort am Sonntag, „und am Schluss möglichst ganz vorne.“ Das wäre allemal wunderbar schön für Hug und die Schweiz, keine Frage, gleichsam aber weiß der 26-Jährige, dass dazu eine verdammt gute Form nötig ist – und auch ein kleines bisschen Glück. „Es gibt gut 20 Athleten, die für die Medaillen in Frage kommen“, sagt Hug jedenfalls, und entsprechend schwer und hart wird es werden auf den Runden im malerischen Hawrelak Park, dem grünen Herzen Edmontons, nach 1,5 Kilometer Schwimmen, 40 km Radfahren und 10 km Laufen tatsächlich auf dem Treppchen stehen zu dürfen. „An einem guten Tag liegt ein Topresultat drin“, pflichtet Martin Rhyner, der neue Nationalcoach der Schweiz bei, „an einem schlechten Tag liegt man dagegen weit zurück.“

Vielleicht ist es ganz gut, dass Rhyner und Hug die Dinge so realistisch sehen und keineswegs überspannt, schließlich ist das tri-Team kaum mehr zu vergleichen mit jenem bei Olympia in Sydney, wo die Schweiz mit Gold und Bronze zur erfolgreichsten Triathlonnation der Welt emporgestiegen ist. Der Unterschied ist schon an der Anzahl der Athleten unschwer zu erkennen. Ganze vier an der Zahl – Hug und Sibille Matter sowie zwei Junioren (Sven Riederer und Nicola Spirig) – gehen in Edmonton ins Rennen um die Medaillen. „Wir haben diesmal mehr Betreuer als Athleten dabei“, bemerkt Hug dazu süffisant, weil Magali Messmer, Jean-Christophe Guinchard und Markus Keller ihre Karriere beendet haben oder nicht mehr international starten wollen, und Olympiasiegerin Brigitte McMahon immer noch Babypause macht.

Da kommt eine ganze Menge Druck zusammen, die da auf den schmalen Triathletenschultern von Reto Hug lastet, das will der Europameister von 1999 erst gar nicht abstreiten. Wenn der Schein nicht trügt, wird letztendlich er es sein, der die Kastanien für die Schweiz diesmal aus dem Feuer holen muss, und ein bisschen alleine und verlassen kommt sich Hug dabei schon vor. „Schade, dass ich jetzt mehr oder weniger Einzelkämpfer bin“, sagt er, zumal die Ansprüche gestiegen sind im Land nach all dem Erfolg in Sydney, was die Sache für Hug nicht eben einfacher macht. „Platz fünf oder sechs zählt doch schon gar nichts mehr“, sagt der Baseler, und oft werde dabei vergessen, dass zwischen diesen Platzierungen und einer Medaille nur ein paar Sekunden liegen, die entscheiden, ob einer als Held oder als Loser nach Hause fährt.

Vor knapp einem Jahr, bei Olympia in Sydney, war es irgendwo die Mitte für Reto Hug. Achter ist er geworden, was nicht wirklich schlecht ist, aber doch zu wenig in einem Land, das bei den Frauen Gold und Bronze gewinnt. „Sydney hat mich nicht dahin gebracht, wo ich hingehöre“, sagt Hug selbst, auch deswegen hat er nach Olympia erst einmal eine lange Pause gemacht vom Triathlon. „Ich hatte einfach genug“, erinnert sich der 26-Jährige, der die Zeit nutzte für eine Zäsur. „Ich habe überlegt, was ich ändern, was ich optimieren kann“, erzählt Hug von seiner sportlichen Neuorientierung, das Ergebnis seiner Gedanken begann er unverzüglich in die Tat umzusetzen: Seit dieser Saison arbeitet er mit Michael McMahon zusammen, dem Ehemann von Brigitte McMahon.

„Ich habe endlich jemand, der mir sagt, was ich zu trainieren habe“, sagt Reto Hug, der sich seine Trainingspläne bis dato immer selbst geschrieben hat. Regelrecht „als Befreiung“ empfindet er das, nötig war es wohl ohnehin: Nach vier Jahren Leistungssport war es einfach an der Zeit, dem Körper neue Reize zu setzen; dass Michael McMahon dies nach streng sportwissenschaftlichen Erkenntnissen tut, dürfte für Hug ein zusätzlicher Pluspunkt sein. „Das ist eine Weiterentwicklung für mich“, ist sich Hug sicher, schon deshalb ist die Zusammenarbeit längerfristig ausgelegt und nicht nur auf den kurzen, schnellen Erfolg. „Wir wollen zusammen etwas entwickeln“, erzählt Hug, fürs Erste haben er und McMahon wieder verstärkt Wert aufs Radfahren gelegt. „Ziel“, so Hug, „ist es, dass ich einigermaßen frisch vom Rad steigen und dann noch schnell laufen kann.“

Beim Weltcup im französischen Rennes, seinem ersten Rennen nach achtmonatiger Wettkampfpause, ist ihm das mit Rang drei schon mal gar nicht so schlecht gelungen, weniger erfreulich war hingegen der Auftritt bei den internationalen deutschen Meisterschaften Anfang Juni in Frankfurt. Ungewohnte Atembeschwerden überfielen Hug da beim abschließenden Laufen, bei einem ärztlichen Test kam heraus, dass Hug unter Leistungsasthma leidet, was bei Triathleten, ähnlich wie bei anderen Ausdauersportlern, gar nicht so selten ist. „Eine komische Geschichte“ findet es Reto Hug schon, dass er plötzlich als Allergiker gilt und unter anderem auch mit Heuschnupfensymptomen kämpft; andererseits ist es für ihn beruhigend, dass die Ärzte sein Leiden erkannt und offenbar auch in den Griff bekommen haben. „Seither ist es nicht mehr aufgetreten“, sagt Reto Hug. Hoffentlich bleibt das auch bei der WM in Edmonton so. Schließlich will Reto Hug überall dabei sein – und am Ende möglichst ganz vorne.