Der heimliche Profilwechsel

Die Bundesländer geben Anreize, eine starke Hochschulleitung exekutiert sie, und die Studenten werden nicht gefragt: Die Stellenumwidmungen in Tübingen zeigen das Muster der deutschen Unireform

BERLIN taz ■ Die Art, wie die Tübinger Eberhard-Karls-Universität den grundlegenden Wechsel ihres akademischen Profils vollzieht, steht exemplarisch für die Reform der deutschen Hochschulen: Die Bundesländer geben von außen Anreize für das neue Forschungsprofil, die Hochschulen exekutieren mit einer starken Unileitung mehr oder weniger heimlich die Pläne. Und die Studenten dürfen nicht mitreden.

Impuls von außen: Zusammen mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hat das Land Baden-Württemberg Mittel in die Uni Tübingen geleitet, um den Schwerpunkt Biotechnologie zu fördern. Nun waschen alle ihre Hände in Unschuld. Das sei die autonome Angelegenheit der Tübinger Uni, sagt etwa Wissenschaftsminister Peter Frankenberg der taz. Aber natürlich sind alle zufrieden. Frankenberg genau wie Wirtschaftsminister Döring oder der Verwaltungsdirektor des Regionalverbandes Stuttgart. Die Stuttgarter haben die BioRegion Stuttgart/Schwäbische Alb gegründet. 70 Millionen Mark vom Bund und aus der Wirtschaft stehen nun bereit, um die biotechnologische und biomedizinische Kompetenz der Schwaben zu stärken – auch mit Geldern für neue Projekte an der Uni Tübingen.

Die Methode macht aus der Perspektive des Landes Sinn: Der Rektor wird mit „Lockvogelangeboten“ geködert. Er nimmt die zeitlich befristeten Stellen an, die er nach wenigen Jahren aus der Universität bezahlen muss – durch Abschmelzen anderer Fachbereiche. Ähnlich wie Baden-Württemberg hat inzwischen beinahe jedes Bundesland seinen Hochschulen eine bestimmte inhaltliche Schwerpunktsetzung empfohlen – selten wird sie aber so radikal umgesetzt wie in Tübingen.

Starke Leitungsstrukturen: Damit Schwerpunktsetzungen und Stellenverschiebungen innerhalb der Alma Mater überhaupt durchsetzbar sind, hat Baden-Württemberg per Gesetz die Position der Rektoren gestärkt. Diese sollen, wie im Falle Tübingens geschehen, die gesamte „Struktur- und Entwicklungsplanung“ vorbereiten – unter Umständen so, dass der Rest der Uni davon zunächst nichts erfährt. In Tübingen, überhaupt im Süden Deutschlands, gibt eine verkümmerte demokratische Kultur an den Hochschulen den Rektoren praktisch freie Hand. Die Tübinger Selbstverwaltungsorgane haben scheibchenweise die vielen neuen Bio-Tech-Stellen abgesegnet – dass daraus ein Schwerpunkt wird, hat keiner gemerkt.

Tübingen spielt zudem das hierzulande beliebte Pingpong zwischen Hochschulleitung und Hochschulrat vor. Der Hochschulrat ist ein neues, weit verbreitetes Gremium, das die Unis mit gesellschaftlichem (das bedeutet meist: wirtschaftlichem) Sachverstand „beraten“ soll. In Baden-Württemberg ist nicht eindeutig klar, ob der Rektor oder der Hochschulrat für das langfristige Profil der Universität zuständig ist. Sicher ist, dass der Hochschulrat weitgehende Befugnisse innehat, er muss die neue Struktur beschließen. Der kurioseste Fall eines Hochschulrats war bislang der in Vechta (Niedersachsen). Dort stiftete der Rat so viel Unruhe, dass der Krisenmanager Hans Koschnick als Vermittler gerufen werden musste.

Machtlose Studenten: Die Studierenden sind in der Regel die Ersten, die Alarm schlagen, wenn an einer Uni etwas krumm läuft. So war es jetzt auch in Tübingen. Kaum hatte der Dekan der Historiker erfahren, dass auch sein Fachbereich Stellen für die Biotechnologie abgeben muss, wandte er sich hilfesuchend an die Studenten. Die machten den Kasus sofort öffentlich.

In der Uniselbstverwaltung haben die Studenten wenig zu schnabeln. In Baden-Württemberg und Bayern dürfen sie sich offiziell nicht einmal selbst organisieren. Und in den Gremien sind sie spärlich oder gar nicht vertreten. Als die Studenten in Tübingen einen Festakt nutzen wollten, um gegen die massiven Stellenumwidmungen zu protestieren, stellten sich ihnen der Rektor und der Kanzler der Uni in den Weg: „Ihr kommt doch auch sonst nicht zu solchen Ehrungen“, verbot der Rektor den Studis den Zugang zum Festsaal. Vor seinem Bauch baumelte die Amtskette – in Tübingen wird mit den Methoden des Mittelalters die Technologie der Zukunft durchgesetzt. CHRISTIAN FÜLLER