Hybriden im Kampf gegen wilden Wuchs

Ihr Foto hängt an einem Baum. Über das Gesicht der alten Frau ziehen sich tiefe Furchen, scheinbar verwandt mit den Furchen in der Baumrinde. Sie ist eine Bewohnerin des Adelenstiftes in Bremen-Lesum, einem Wohnheim für ehemals obdachlose Männer und Frauen. Udo Steinmann hat sie und andere Bewohner fotografiert und mit Bäumen aus dem Sitftspark verschmelzen lassen. Immer wieder begegnet man seinen Baumporträts - und nicht nur ihnen - beim Spazieren im Park.

Zehn Künstler aus Bremen, Hamburg und Köln haben zusammengearbeitet, um die Ausstellung „Parcours-Parkkur“ rund um das Adelenstift zu gestalten. Thomas Falk hat das Projekt mit Unterstützung des Vereins für Innere Mission ins Leben gerufen. „Ein Park ist immer eine Form von künstlicher Natur“, so der künstlerische Leiter. „Es herrscht daher ein gewisses Spannungsfeld zwischen Kunst und Natur.“ Falk kennt sich aus in Sachen Gartenarchitektur und er hasst wasserspeiende Renaissance-Putten und Kugelhecken. Für ihn war es eine Herausforderung, eine 35.000 Quadratmeter große Fläche zu bespielen: „Es ist immer ein Ringen mit der Natur.“ Es stelle sich immer wieder die Frage, ob Kunst in dieser Natur Bestand hat.

Iris Hauptmanns zarte „Seelenhüllen“ werden es schon mal nicht leicht haben. Von den Ästen der Laubbäume hängen halb durchsichtige Körper aus Frühbeet-Wachstumsfolie. Es sind schlaffe Hüllen, abgestreifte Schlangenhäute, die verlassen im Wind schaukeln. Zeugen einer früheren, längst abgelegten, Existenz.

Thomas Falk steht auf einem kleinen Holzpodest und blickt auf Station zwei, „Ideal“ von Mathias Deutsch. In mühsamer Handarbeit hat dieser auf einer kleinen Wiese das Wort „Ideal“ in den Boden gegraben, etwa einen halben Meter tief. „Ein Garten ist immer von Idealen geprägt“, sagt Falk, „der Natur wird ein Stempel aufgedrückt. Das hier ist eine Aufforderung, seine Ideale zu begraben.“

Die Künstler haben eng zusammengearbeitet, sowohl körperlich als auch in Form von konstruktiver Kritik. Jeder Einzelne hat sich selbst einen Platz für sein Objekt ausgesucht. Gabi Schaffner hat eine alte Holzhütte gewählt. Der röhrende Hirsch und die Geweihe an der Wand waren dort schon vorhanden. Schaffner ergänzte das Inventar mit Werkzeug, kleinen Rehfiguren und Wortspielen. REHkapitulation, REHgeltechnik, REHproduktion. „Rehe sind der Inbegriff der Kitschigkeit“, erläutert Kurator Falk. Sie seien ein Sinnbild dafür, wie manche Persönlichkeiten – eine solche soll die Hütteneinrichtung widerspiegeln - die Welt romantisch idealisieren.

Der Park ist wild zugewachsen. Den Künstlern bleibt es selbst überlassen, ob sie ihre Werke dann und wann ausbessern oder langsam vergammeln lassen und somit zusätzlich ein Symbol für die Vergänglichkeit der Dinge setzen. Die Hybriden von Sebastian Piaz sind jetzt schon tot. Aus ehemals dichtbelaubten Bäumen wurden grell bemalte Tentakelfiguren, scheinbar von einem anderen Stern. Thomas Falk steht vor dem tiefblauen Hybriden „Yves Klein“: „Das ist kaum noch ein Baum. Besucher haben darin schon Science-Fiction-Wesen erkannt. Ein toter Baum wird so durch Farbe wiederbelebt.“

Der Kurator selbst hat die Endstation gestaltet. Zusammen mit dem Fotografen Wolfgang Eschenhagen wurde ein Teil seines umfangreichen Pflanzen-Herbariums zu einem „lebendigen Pflanzenarchiv“, ein anderer Teil der gesammelten Gräser und Blumen zu einer Fotoausstellung. Eine kleine Foto-Ansammlung von Grüppchen, Paaren und Außenseitern – Falk sieht in der Anordnung der Fotografien einen Spiegel der Gesellschaft – sitzt unter Kirschbäumen im Klee und sonnt sich. Ein friedlicher Anblick. Thomas Falk steckt sich eine Kirsche in den Mund: „Es ist eine brotlose Kunst, aber sie ernährt mich doch.“

Susanne Polig

Die Ausstellung ist noch bis zum 16. September im Park des Adelenstiftes, Bremen-Lesum, zu sehen.