Knacken wie auf der kaputten Schallplatte

■ „Die Zauberflöte“, und was bei einem Open-Air-Gastspiel davon übrig bleibt: Die OrganisatorInnen der Loreley-Festspiele sind auf der Galopprennbahn in der Bremer Vahr aufgetreten und haben dort Mozarts Oper verbrochen

Der künstlerische Leiter der Loreley-Festpiele, Lothar Fritsch, will vor allem, dass wieder mehr und vor allem andere Menschen ins Theater gehen. Das mit dem „mehr“ muss eine Illusion bleiben angesichts eines in Bremen gut ausgebuchten und künstlerisch hoch angesehenen Operntheaters, wie Generalintendant Klaus Pierwoß es bietet. Und vor allem gilt das für Fritschs eigenes Bremen-Gastspiel am Samstag auf der Galopprennbahn in der Vahr: Für die 3.000 geplanten Plätze des Loreley-Gastspiels „Die Zauberflöte“ von Wolfgang Amadeus Mozart auf der Rennbahn waren im Vorverkauf gerade mal 500 Karten weggegangen. Einige kamen noch an der Abendkasse hinzu. Und das, obschon der Besucherring Bremen einige Busse aus dem Umland akquiriert hatte. Da wurde dann in einer leicht hektischen Aktion die Bühne umgedreht, weil sie wegen des Trainings der Pferde nicht näher an die feine Tribüne herangezogen werden konnte.

Viele hatten ein schickes Catering erwartet, das war nicht da. Ja, es gab zum Ärger nicht weniger BesucherInnen – man lockte mit „Einlass 19 Uhr“ – überhaupt nichts zu essen. Der Getränke-Service und die Toiletten hatten nach Schluss der Vorstellung auch geschlossen. Einige BesucherInnen hatten ihre Picknickkörbe mit viel Sekt mitgebracht, einer hatte sogar einen gut bestückten Rollwagen mit Kerzenlicht neben sich gestellt, schönen Käse und Rotwein drauf. Und dann lief Mozarts Meisterwerk ab: „Viele von den Liedern kenn ich!“, meinte eine Dame, und ein anderer fand „die Kapelle prima“.

Die „Kapelle“ war das Sinfonieorchester der Staatsoper Budapest, das sich unter der Leitung des leicht genervt wirkenden Helge Dorsch tapfer und insgesamt akzeptabel schlug. Obschon wir über Lautsprecher schon unvergleichlich schlechteres gehört haben, haut Open-Air bei dieser Musik einfach nicht hin. Die Klänge zerstieben regelrecht in alle Winde, selten kommen formale Stringenzen oder auch nur konzentrierte Klangnuancen zustande. Ein Knacken wie auf einer kaputten Schallplatte ließ meine Nachbarin vermuten, das wäre doch wohl „Playback“. Die Nachfrage ergab, dass das Metallkostüm des Tamino diese irritierenden Knacker verursachte. Ansonsten fand meine Nachbarin es „herrlich!“.

Man kann viel darüber rätseln, wie dieses Szenengebilde wohl an der Loreley ausgesehen hat, hier konnte von dem Begriff „Regie“ (Günter Roth) nicht die Rede sein, es sei denn, man versteht unter Regie die individuellen Ideen eines jeweiligen Sängers. Spannungslose Gänge, verfrühte Reaktionen, falsche Blicke, mangelnde Körperhaltung und vieles mehr transportierten nichts an Interpretation von Mozarts widersprüchlichem Märchen.

Im ersten Akt ist Sarastro der Böse, weil die Königin der Nacht es so sagt, und im zweiten die Königin der Nacht, weil Sarastro es so sagt. Alles spielte sich in einer Art Barockzimmer ab, rechts den Blick auf einen Palmenstrand, geradeaus auf Ruinen am Meer und links in einen Urwald. Gewiss sind die Bühnenmöglichkeiten der reisenden Theater mehr als eingeschränkt, aber so gedankenlos wie hier darf es einfach nicht sein (Bild: Sybille Schmalbrock).

Wenn Pamina und Tamino durch Feuergluten und Wasserfluten gehen, verschwinden sie einfach kurz hinter der Bühne, und das Publikum sieht zu der entsprechenden Musik nur die beiden Geharnischten wie angewurzelt stehen. Der Chor steht nur herum nach dem Motto: auftreten, abtreten. Eine wahre Katastrophe an unüberlegter Schlampigkeit war das Licht, das ja in der Regel einiges an Atmosphäre und Stimmung herstellen kann. Im ersten Teil gab es so gut wie keine Wechsel, da wurde jede Chance vertan, mit den immerhin über dreißig Scheinwerfern etwas zu zaubern, im zweiten, als es immerhin schon dunkel war, war nur der hintere Teil der Bühne ausgeleuchtet, das heißt, wir haben die Gesichter der ProtagonistInnen überhaupt nicht mehr gesehen! Und über die vom Wiener Bundestheater geliehenen Kostüme, die zwischen Kitsch und Langweiligkeit alles abdeckten, breiten wir hier den Mantel des Schweigens aus, erinnern aber daran, dass das Kostüm wie das Bühnenbild ein nicht ganz unwichtiger Ideenträger der Inszenierung ist. Aber – der Kreis schließt sich – die gab's ja nicht.

John Dickie als Tamino sang ordentlich, hatte aber null Ausstrahlung. Ulrike Steinsky als Pamina verwechselte temperamentvolles Spiel mit kleinen Hüpfern nach oben, wenn sie eine Emotion hat – und Pamina hat deren viele. Auch ihre gesangliche Leistung war ordentlich. Lothar Fritsch als bewegend singender Sarastro war bemüht um demütige Schlichtheit, und Kristina Totzek brillierte als emotionslos herumstehende Königin der Nacht – mit Ausnahme der drei berühmten Spitzentöne, die ihr an diesem Abend misslangen. Oskar Hillebrandt und Sandra Schwarzhaupt als Papageno und Papagena: o.k., aber auch hier alles Marke Eigenbau. Ich habe wirklich nicht begriffen, was Günter Roth, der einst als Regisseur einen zwar nicht großen, aber doch beachtlichen Namen hatte, sich bei dieser Art von Arrangements gedacht hat. Die Szene blieb chemisch rein von allem, was in der Musik passierte, unsäglich steif auch die drei Knaben. Ein anderes und vor allem mehr Publikum kann man so nicht gewinnen, im Gegenteil. Ute Schalz-Laurenze

Foto: Alexander Steffens