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Es war einmal ein Wald

Annäherung an einen Berliner Park (1): Als am Hermannplatz die „Neue Welt“ gebaut wurde, ist die Hasenheide endgültig vom Wald zum Volkspark geschrumpft. Das ist sie auch heute noch – nur morgens um vier Uhr hat man den Ort für sich allein

von PETRA WELZEL

Es ist der erste Morgendunst. Jetzt im Sommer so gegen vier Uhr in der Früh. Vor allem, wenn man sich vom Südstern aus auf den Weg macht, um die Hasenheide in Neukölln bis zum Columbiadamm im Süden zu durchqueren. Bäume, Wiesen und Sträucher dampfen dann nach einer feuchten Nacht wie Kochtöpfe in einer Großküche. Mitten in Berlin hat man plötzlich das Gefühl, in einer satten Grafschaft zu wandeln oder wie Alice durch Wunderlands Zauberwald. Andere halten mich für lebensmüde, im Halbdunkel allein durch die Hasenheide zu streifen. Dabei ist dies in etwa die einzige Tageszeit, zu der man den Park in Berlins bevölkerungsreichstem Stadtteil tatsächlich mal für sich allein hat.

Die Vögel sind die ersten, die mit der Dämmerung erwachen. Auf den bei diesem Licht dunkelgrünen Wiesen tummeln sich noch die Hasen, die man sonst nie sieht. Eichhörnchen flitzen Bäume hinauf und hinab, die beiden Pfauen der Försterei haben noch Ausgang und schlagen manchmal ein Rad. Keine Menschenseele ist zu sehen. Selbst Liebespaare kommen meist erst mit der ersten Sonne, um sich nach einer langen Nacht an einem der Hänge der Nord-Süd-Senke des Parks von ihren Strahlen wärmen und kitzeln zu lassen. Auch auf dem Flugfeld von Tempelhof auf der gegenüberliegenden Seite vom Columbiadamm ist es noch mucksmäuschenstill. Die Dealer, die sich in den Büschen rund ums Turnvater-Jahn-Denkmal nahe dem Hermannplatz ihre Depots eingerichtet haben, kommen nicht vor der ersten Unterrichtsstunde, wenn sich Schüler der Schule in der Karlsgartenstraße mit Partydrogen oder Pausenbrotersatz eindecken wollen.

Unlängst kam deshalb die Neuköllner CDU auf die Idee, die Hasenheide einzuzäunen und Eintrittsgeld zu verlangen. Großrazzien und regelmäßige Polizeikontrollen hätten dem Drogenmarkt bisher keinen Riegel vorschieben können. Aber muss man deshalb gleich die ganze Hasenheide abriegeln? Außerdem scheint es der Polizei offensichtlich Spaß zu machen, wenn sie zu zehnt in Tarnanzügen einem armseligen schwarzen Jugendlichen auflauert und Räuber und Gendarm mit ihm spielt – bis sie ihn auf dem offenen Terrain der Liegeflächen umzingelt. Oder wenn sie, wie neulich, als Gärtner verkleidet aus einem Gerätewagen heraus mit Megazooms eine Dealerkartei per Foto anlegt. Aber vor allem: Stünden morgens um vier schon welche von ihnen an einem der Eingänge, um Menschen wie mich passieren zu lassen?

Vorerst ist nur der kleine, vor wenigen Jahren angelegte Biotop zwischen Rixdorfer Höhe und Columbiadamm eingezäunt. Dort steht das Schilf schon meterhoch und rauscht im Wind. Dichte Sträucher wachsen von der anderen Seite dagegen, dass der Zaun kaum zu sehen ist: ein Kleinod im Dornröschenschlaf.

Der Ökoteich ist ein Versuch, die Hasenheide zu renaturieren. Noch im 18. Jahrhundert war der heute auf etwa einen Quadratkilometer geschrumpfte Park ein riesiges Wald- und Heidegebiet, das weit außerhalb der Stadtgrenzen lag. Das Dorf Rixdorf – heute ein kleiner Kiez zwischen Karl-Marx-Straße und Sonnenallee – sowie der Hermannplatz mit dem legendären Ausflugslokal „Rollkrug“ waren damals nur über den schon bestehenden Kottbusser Damm zu erreichen. Die Straße mit dem Namen Hasenheide, die südlich des Parks entlangführt, wurde erst 1854 angelegt und brachte den Wald an den Rand der sich ausbreitenden Stadt. Bereits 1811 hatte Friedrich Ludwig Jahn nahe dem so genannten Carlsgarten einen Turnplatz für Berlins Jugend eingerichtet. Der wurde allerdings neun Jahre später von den herrschenden Preußen als subversiv eingestuft, dem Erdboden gleichgemacht und Jahn sechs Jahre in Festungshaft gesteckt.

Doch mit dem Bau der Chaussee vom Halleschen Tor zum Hermannplatz, die heute auf ihrem letzten Abschnitt eben Hasenheide heißt, war die Entwicklung zum Volkspark nicht mehr aufzuhalten. Es war die „goldene Zeit“ der Hasenheide: Tanz, Theater, Rummel, Feuerwerk, kein Vergnügen wurde mehr ausgelassen von den Großstädtern, die in Kutschen und später Autos angerollt kamen. Das Bier floss in zahlreichen Gartengaststätten, und Hagenbeck zeigte hier seine ersten Tierschauen. Wo einst Turnvater Jahn mit der Jugend exerzierte, standen nun auf einem abgesperrten Areal Artisten mit ihren Wohnwagen und übten unter freien Himmel auf ihren Trapezen vor staunenden Spaziergängern. Auf alten Fotografien sieht ihr Lager wie eine Rollheimersiedlung aus. Geblieben sind davon heute nur die Hasenschänke im Norden, das Freilichtkino in der Mitte, ein Minigolfplatz und ein Kleintierzoo am Eingang Graefestraße.

Es sollten nur wenige Jahre vergehen, bis die Hasenheide samt der 1865 eröffneten Gaststätte „Neue Welt“ am Hermannplatz zum Inbegriff proletarischer Arbeiterkultur wurde. Hier traf man sich, hier gab es Bier und Politik. Bismarck soll einmal schnippisch gesagt haben, als ihm die Sozis zu stark wurden: „Die deutsche Politik wird nicht an der Hasenheide gemacht.“

Nein, ganz gewiss nicht. Auch nicht, seit die Bundesregierung nach Berlin gezogen ist. In die Hasenheide geht man zum Laufen, zum Spazierengehen, zum Lesen, zum Grillen, zum Sonnen, wie in alle anderen Parks auch. Manche gehen auch nur hin, wenn im Mai für zwei Wochen die „Neuköllner Maientage“ mit einem Luna-Park Einzug in der Senke haben. Man dreht vielleicht noch laufend seine Runden, grüßt wie immer die Hundehalter beim Gassi und weiß nicht, was man davon halten soll, wenn einem ein bekanntes Gesicht ohne Namen einen Zettel zusteckt: „Ich wünsche Ihnen einen frühlinghaften Guten Morgen! Bevor dieser sagenhafte Frühling zum Sommer wandelt, möchte ich Sie gern zum Frühstück am Balkon einladen, wo Sie auch meine Blumen begrüßen werden.“

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