Falter im Pfuhl

Das Nachtleben in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar

„Die neue Freiheit besteht auch darin, dass wir das meiste aus unserer Schönheit rausholen“

Vor der Wende, die am 4. März 1990 mit einer großen Demonstration in der Hauptstadt eingeleitet wurde, gab es auch schon ein paar Yanhan (leichte Mädchen) in der Mongolei, aber an sich war die Prostitution im Sozialismus streng verboten, mit der Ausnahme: im Sicherheitsdienst. Das heißt zur Bespitzelung von westlichen Ausländern beschäftigte der sowjetische KGB bzw. der mongolische NACH-Yam auch einige Prostituierte. So wurde in den Siebzigerjahren der französische Botschafter mittels einer im Dienste des KGB stehenden Mongolin beeinflusst. Daneben hatte der alte Mann bald auch noch ein Liebesverhältnis mit dem Bruder der Agentin. Im Resultat wurde die französische Botschaft in Ulaanbaatar für mehr als zehn Jahre geschlossen. Das war sozusagen der Gipfel der mongolischen Upper-Class-Prostitution. Heute haben wir es vornehmlich mit Armutsprostitution zu tun. Schon 1990 gab es den ersten Straßenstrich, abends vor dem Touristen-Hotel „Ulaanbaatar“.

In der Öffentlichkeit wurde damals die Frage diskutiert, ob man wie im Westen Bordelle in der Mongolei brauche, und wie die Ausbreitung von Aids verhindert werden könne. Unterdes eröffnete im Stadtzentrum die erste Nachtbar „Wilde Rose“, wo sich bald die Mädchen von der Straße und ihre Freier trafen.

Inzwischen hat sich die Prostituierten-Scene immer mehr diversifiziert: Es gibt etliche gutverdienende Frauen, die zum Anschaffen nach Singapur, Tokio, Seoul und Peking fliegen – und nur noch gelegentlich in Ulaanbaatar auftauchen. Dann die Hotel-Prostituierten, die zunehmend unter der angereisten Konkurrenz aus Ulan-Ude, Irkutsk und sogar aus der Ukraine zu leiden haben – und schließlich die Straßenprostituierten, die heute in der Nähe des Kinos „Ard“ (Volk) herumstehen. Dazu kommen neuerdings noch männliche Prostituierte, die sich am Weltkrieg-Zwo-Panzerdenkmal „Tanktai hoshoo“ aufstellen. Sie werden hier von älteren Geschäftsfrauen mit Pkw angesprochen. Nebenbei annoncieren die Jungs noch in der Zeitung Hairin zörlög (Liebesbrücke): „Suche reiche Frau ...“

Es gibt seit Mitte der Neunzigerjahre auch einige illegale Bordelle, zwei chinesische wurden kürzlich nach einer Polizeirazzia geschlossen. Auf der anderen Seite gründete sich 1998 ein Verein zum Schutz von Prostituierten. Geleitet wird er von Saran, einer Prostituierten mit Hochschulabschluss. Ihr Verein beteiligt sich auch an gesamtasiatischen Prostituiertenkongressen. Sarans mutiges Engagement bewog in diesem Jahr einige andere Leute, einen Verein für die Belange von Lesben und Schwulen zu gründen. Diese haben inzwischen eine eigene Bar („Rendezvous“) als Treffpunkt. Die beiden Vereine arbeiten mit einer UNO-Organisation zur Aids-Prävention zusammen. Das Coming-out geschah durch Tsolman, eine 40-jährige Bankangestellte, die wegen Kreditbetrug zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt wurde und in einem Interview mit der Zeitung Seruuleg (Wecker) erzählte, dass sie sich im Knast mit einem jungen Mädchen verheiratet hätte. Die beiden haben nun ein aus Indien adoptiertes Kind zusammen. Das Coming-out geschah durch Tsolman, eine 40-jährige Bankangestellte, die wegen Kreditbetrug zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt wurde und in einem Interview mit der Zeitung Seruuleg (Wecker) erzählte, dass sie sich im Knast mit einem jungen Mädchen verheiratet hätte. Die beiden haben nun ein aus Indien adoptiertes Kind zusammen.

Die Öffentlichkeit, speziell die private mongolische Presse, interessiert sich sehr für all diese neuen Beziehungs- und Existenzmöglichkeiten, besonders für das Leben der wenigen reichen Prostituierten. Die Zeitung Detektiv interviewte dazu kürzlich die Nachtclub-Tänzerinnen Hash und Erdene, die für einen reichen „Boss“ in China anschaffen gehen. Sie meinten: „Die neue Freiheit besteht auch darin, dass wir das meiste aus unserer Schönheit rausholen – wir verdienen damit bestimmt hundert mal mehr als jeder Journalist.“

Manchmal geraten die Frauen jedoch an den falschen Mann, der seinen Hass auf die Gesellschaft oder auf was auch immer an ihnen auslässt. Seit 1999 gibt es in Ulaanbaatar ein Haus für geschlagene Frauen, das von der Soros-Foundation finanziert wird. Die Leiterin Baasanbat ist der Meinung: „Die Frauen landen nicht von selbst auf der Straße, schuld daran sind die Männer“. Damit die sich prostituierenden Frauen nicht auch noch vom Gesetz dafür bestraft werden, plädiert sie für das schwedische Antiprostitutionsmodell, bei dem die Freier bestraft werden. Bisher werden bei den Razzien immer nur die Frauen von der Polizei eingesammelt.

Auf dem Land gilt die Hauptstadt inzwischen als großer Sündenpfuhl. Ein neues Theaterstück nimmt darauf bereits bezug, es heißt so, wie die Polizei auch ihre Razzien im Prostituiertenmilieu nennt: „Nachtfalter“. In einer Szene verlangt ein Polizist von einer alten Dame im Hotel, sich auszuweisen. Diese weigert sich – mit der Bemerkung: „Ich bin doch aus Ulaanbaatar!“. Großes Gelächter im Publikum.

DONDOG BATJARGAL /

GHOSTDOG HÖGE