Köstlichkeit aus Brasilien

Mit seinem Neuzugang Marcelinho entfacht Hertha BSC einen ungewohnten Sturmwirbel, gewinnt durch ein 4:1 gegen Schalke 04 den Ligapokal und zeigt unverhohlen Ambitionen auf den Titel

aus MannheimGÜNTER ROHRBACHER-LIST

Anfang Dezember wird der Südamerikameister Boca Juniors aus Buenos Aires in Tokio um den Weltpokal gegen Bayern München spielen. Das Team von Ottmar Hitzfeld dürfte es dann nicht allzu schwer haben, denn europäische Vereine haben den Club von der Bombonera geradezu geplündert: Villareal lockte Martin Palermo, Riquelme spielt jetzt für den FC Barcelona, und Matellán schnappte sich der FC Schalke 04. Ähnlich sieht es in Brasiliens erster Liga aus. Dort wechselte Marcelinho für umgerechnet 14 Millionen Mark von Gremio Porto Alegre zu Hertha BSC Berlin, wo der 26-Jährige nun gemeinsam mit seinem gleichaltrigen Landsmann Alex Alves im Angriff spielt.

Einen Vorgeschmack auf die Köstlichkeiten, die die beiden leichtfüßigen Spieler den Zuschauern in der kommenden Bundesligasaison kredenzen werden, erhielten die 10.000 Besucher des Ligapokal-Endspiels zwischen Hertha BSC und Schalke 04 im Mannheimer Carl-Benz-Stadion. Fast im Alleingang wiesen die zwei Brasilianer beim 4:1-Sieg den Pokalsieger zurecht, spielten sich den Ball zu und zauberten, wie es ihnen gerade in den Sinn kam. Abwehrrecken wie Tomasz Waldoch und Tomasz Hajto, eigentlich für ihre Kompromisslosigkeit und Härte gefürchtet, sahen immer wieder nur die Hacken der beiden, deren Schlamperei im Abschluss allein einen höheren Sieg der Hertha verhinderte.

Der Schalker Coach Huub Stevens war nach der unerwarteten Schlappe gegen die Berliner ungewohnt kleinlaut und geradezu barmherzig mit seinen Spielern. „Wir sind noch nicht da, wo wir hinmöchten“, lamentierte er und vermisste wie so viele seiner Kollegen die obligatorische „Spritzigkeit“. Doch mit Spritzigkeit hatte Hertha BSC das Spiel nicht gewonnen. Angetrieben von dem spielfreudigen Sebastian Deisler, der kaum zu stoppen war, und von Stefan Beinlich und Andreas Neuendorf ließen die in Rot und Schwarz spielenden Herthaner den Ball durch ihre Reihen laufen und verwirrten die Schalker schon in den Anfangsminuten derart, dass denen die Unterstützung ihres zahlreich erschienenen Anhangs nichts nützte. Alves, Marcelinho und Michael Preetz waren immer einen Deut schneller, präziser und konsequenter, außer beim Toreschießen. Das Trio hätte bereits vor dem 1:0 in der 24. Minute einen klaren Vorsprung herausschießen können.

Auch als Hertha-Trainer Jürgen Röber nach einer Stunde Deisler herausnahm und durch Pal Dardai ersetzte, schadete das seiner Mannschaft nicht. Sven Vermant, Emile Mpenza und Victor Agali kamen auf Schalker Seite viel zu spät, um noch etwas bewirken und Hertha BSC Berlin seine erste gewonnene Trophäe seit 70 Jahren streitig machen zu können.

Dass Michael Hartmann vier Minuten vor Schluss gar noch das 4:1 gelang, kann für die Berliner aber auch zur Belastung werden. Einen so hohen Sieg hatten die Anhänger nicht erwartet.

„Nun wird die Euphorie wieder groß sein“, befürchtete Jürgen Röber und verwies auf das schwere Auftaktspiel in der Bundesliga am Sonntagabend beim FC St. Pauli: „Dann ist alles Makulatur.“

Auch für den brasilianischen Fußball können diese prächtigen Vorstellungen à la Alves und Marcelinho verheerende Folgen haben. Nachdem die Vereine der Bundesliga und auch der französischen Division I mit ihren begrenzten Mitteln keine europäischen Stars mehr locken können, grasen die Club-Manager nun, da der Osten leer gefegt ist, den Markt zwischen Recife und Porto Alegre ab.

So könnte Marcelinho im Uefa-Pokal demnächst auf seinen Exkollegen Ronaldinho treffen, den sich Paris Saint Germain geangelt hat und der den abgerutschten Retortenclub aus dem Parc des Princes wieder an Europas Spitze bringen soll. Solche Sorgen hat Hertha BSC Berlin zurzeit nicht. Von „Visionen“ sprach Manager Dieter Hoeneß beinahe glückselig und dass „manches schon zu erkennen“ sei. Denn die Münchner Bayern wurden in den letzten vier Jahren nicht nur stets Ligapokalsieger, sondern anschließend immer auch Deutscher Meister.

Schalke 04: Grodas - Hajto, Waldoch, van Kerckhoven - Djordjevic, van Hoogdalem, Nemec, Böhme - Möller (57. Vermant) - Asamoah (57. Mpenza), Sand (70. Agali) Hertha BSC: Kiraly - Rehmer, Simunic, Konstantinidis - Neuendorf, Deisler (63. Dardai), Beinlich, Hartmann (87. Marx), Marcelinho, Preetz, Alves (82. Goor) Tore: 0:1 Waldoch (24./Eigentor), 0:2 Marcelinho (29.), 1:2 Böhme (40.), 1:3 Alves (66.), 1:4 Hartmann (85.)