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: Wandernde Enthusiasten (2): Das Leicht-Lauf-Programm

Jugendjahre einer Muskelzelle

Enthusiasmus, das ist eigentlich nur, wie man in sein Verderben rennt. Jeden Morgen. Na ja, jeden zweiten, dritten Morgen. Man soll ja ehrlich sein. Und als ehrlicher Mensch fängt man günstigerweise beim Anfang an: bei der Bestenliste von amazon.de. Listen gehören zum Enthusiasten wie Cohibas zum Kanzler. Jedenfalls folgen zurzeit bei Amazon von Platz acht an „Der Lebenslauf der Liebe“, „Der perfekte Liebhaber. Sextechniken, die sie verrückt machen“ und „Generation Golf. Eine Inspektion“ aufeinander. Was doch einiges besagt. Und dann gibt es diesen merkwürdigen Abspann nach den Buchkritiken der Leser: „Kunden, die Bücher von Florian Illies (ad libitum zu ersetzen – d. A.) gekauft haben, haben auch Bücher dieser Autoren gekauft.“ Früher standen dort auch Videos, CDs, Videospiele. Für solche Listen muss jeder vernünftige Mensch Leidenschaft entwickeln. Man glaubt es nicht, was die Leute Amazon zufolge alles zusammen kaufen.

Wahrscheinlich kam das System nur zustande, weil hinter dem Ganzen eines dieser superdoofen Agentensysteme steckte, das immer Gleiches mit Gleichem in Verbindung brachte. Damals, jede Wette, hätte man also auf den neuen Walser geklickt und dann erfahren, dass Leute, die den „Lebenslauf der Liebe“ gekauft haben, auch das „Leicht-Lauf-Programm“ von Dr. med. Ulrich Strunz gekauft hätten, dem, so die Wirtschaftswoche und das Manager-Magazin auf einem Cover-Button, „Fitnesspapst“. Drunter steht „Ihr Start in ein neues Leben“! Manchmal ist der Start in ein neues Leben nur die Rückkehr in ein altes. Denn wer mit 16 Jahren als einziges Mädchen in einer Meute Jungs mit dem Sandsack auf den Schultern zwanzig Minuten lang Treppen hoch- und wieder runter- und wieder hochlief, nur um mit diesen Jungs Volleyball zu spielen, der darf nicht annehmen, im späteren Leben ohne Bewegung auszukommen, auch wenn da Sport längst verhasst ist. Dem muss natürlich Dr. med. Ulrich Strunz über den Wanderweg der Enthusiastin laufen.

Dr. med. Ulrich Strunz! Man muss sich sein Leicht-Lauf-Programm schon deshalb kaufen, weil er in seinem Buch alle paar Seiten auftaucht mit einem Miniporträt, auf dem er den Uncle-Sam-wants-you macht, mit einem dermaßen depperten, breiten Grinsen, dass einem echt die Luft wegbleibt. Die man ja eigentlich zum Laufen braucht. Daneben steht dann immer „Mein Tipp für Sie“: „Nehmen Sie ein Eiweißpräparat!“. Oder: „Warum Sie laufen sollten, bevor Sie einen Mentaltrainer konsultieren“. Ah, ja? Da wäre man sooo nicht direkt drauf gekommen. Es ist einfach unausweichlich, dass einem der Mann ans Herz wächst. Die unmittelbare Assoziation zu seinem idiotischen Grinsen ist strunzdumm. Doch, dieses Wort gibt es. Gab es. Zumindest in meiner Jugend. Apropos Jugend: Laufen hält jung. Kaum starten Sie in ein neues Lebens, das das alte ist, sind Sie auch schon wieder 16. Denn, so der Doktor, eine Muskelzelle weiß nicht, ob sie 20 oder 80 Jahre alt ist. Ein ausgesprochen sympathischer Zug dieser Zelle. Der Verdacht, dass sie aber anfangs ganz genau weiß, dass Sie achtzig sind, lässt sich auch nicht von der Hand weisen. Später vergisst sie's dann und tut nicht mehr weh.

Also Laufen. Es hat seine schönen Seiten. Man muss morgens nicht mehr wach werden. Man schlüpft vom Traum direkt in den Trainingsanzug und läuft los. Im Volkspark Schöneberg dämmert’s einem dann allmählich, dass man, wenn nicht in ein neues Leben, dann doch in einen neuen Tag gestartet ist. Aber da ist das Malheur schon passiert. Und man kann sich einen weiteren Tipp von Dr. med. Ulrich Strunz zu Herzen nehmen. „Laufen Sie: locker, leicht, lächelnd.“ Enthusiasmus, das ist eben nur, wie jeder auf seine Weise ins Verderben rennt.

BRIGITTE WERNEBURG