In Deutschland geht der Atomklau um

Nicht nur in Karlsruhe wurde radioaktives Material entwendet. Auch bei Siemens in Erlangen und in Hanau gab es unkontrollierte „Abgänge“

aus Frankfurt am Main KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Der Atomdieb von Karlsruhe ist nicht der Erste seiner Zunft. Aus dem Siemens-Forschungszentrum in Erlangen soll ein Labormechaniker in den Jahren 1971 bis 1981 wenigstens sechs Mal radioaktive Stoffe entwendet haben. Das jedenfalls berichtet Der Spiegel in seiner heutigen Ausgabe unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft in Nürnberg. Die habe ein Verfahren gegen den inzwischen 74 Jahre alten Rentner eingeleitet, der unter anderem 0,8 Gramm hoch angereichertes Uran in einem selbst gebastelten Plexiglaskolben mit nach Hause genommen haben soll.

Die Staatsanwaltschaft war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Ein Sprecher der Polizei bezeichnete die Vorfälle jedoch als „uralte Geschichten“. Aktuell wurden diese, weil der inzwischen an Bronchitis leidende Renter seine Sammlung an radioaktiven Stoffen, die er in einem Abstellraum seines Hauses aufbewahrte, vom bayerischen Umweltministerium untersuchen lassen wollte. Mit dem Analyseergebnis in der Tasche wollte er vor Gericht die Anerkennung seiner chronischen Bronchitis als Berufskrankheit erstreiten.

Wegen Atomdiebstahl war Siemens schon einmal in den Schlagzeilen. Ein Leiharbeiter hatte 1980 drei Urantabletten aus der Siemens-Brennelementefabrik (RBU) in Hanau entwendet und versucht, das strahlende Material in Südhessen zu verkaufen. Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) erinnerte am Wochenende auch daran, dass es bei Siemens in Hanau in den 80er-Jahren zu einem zunächst „ungeklärten Materialschwund“ gekommen war. Mehr als ein Kilogramm Uran wurde vermisst; ein halbes Jahr später wurden die zerbrochenen Tabletten zufällig in einem Staubsaugerbeutel entdeckt. Die Putzfrau hatte die in einem frei zugänglichen Raum der Brennelementeschmiede auf dem Boden liegenden Stückchen „für normalen Dreck gehalten, ihn aufgesaugt und den Staubsauerbeutel dann – entgegen den Vorschriften – außerhalb der Anlage entsorgt“, so der Leiter der Siemens-Rückbauprojekte, Helmut Rupar.

Die BBU fürchtet nun, dass es auch in Hanau zur Entwendung von radioaktivem Material kommen könnte. Dort werden unter der Verantwortung von Siemens zwei Uran- und eine Plutoniumfabrik leer gefahren und abgerissen. Rupar verwies auf die inzwischen effektiveren Sicherheitssysteme. Wegen der Vorgänge bei Siemens in Erlangen hat der BBU gestern Strafanzeige erstattet: gegen den diebischen Rentner, gegen die Verantwortlichen des Siemens-Forschungszentrums in Erlangen und gegen die Vorstandsmitglieder in München.

In Sachen Karlsruhe war Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) mit dem Bericht von seinem baden-württembergischen Kollegen Ulrich Müller (CDU) nicht zufrieden: Bis heute Abend muss er eine neue Handlungsanweisung zur Bewältigung der Sicherheitsprobleme in der Wiederaufarbeitungsanlage in Karlsruhe vorlegen.