Verona Feldbusch und die elementare Mathematik

■ Am Wochenende gastierte die Band „Die Bohlens“ in der Schlachthof-Arena . Dr. Blohm und Herr Voss, die Besserwisser des bremischen Konzertlebens waren auch da und verbrachten dort ein paar aufgeregte Stunden

Heute ist ein schöner Tag. Ein Sonntag, sonnig und warm. Wir befinden uns vor dem Schlachthof, in dessen amphitheatereskem Vorbau vier junge Leute musizieren. Drumherum sitzen, stehen, liegen Menschen, das nachmittägliche Bier auch einmal mit Musik zu genießen. Inmitten dieser die Köpfe wiegenden, den Beat der Musik behutsam in die Luft tretenden Menge, werden wir Dr. Blohms ansichtig, der, die Arme verschränkt und ungewohnt reserviert wirkend, das Treiben betrachtet. Bis ...

Voss (gehetzt): Verzeihen Sie. Sie glauben ja gar nicht ...

Dr. Blohm: Da sind Sie ja. Wo haben Sie gesteckt? Ich warte schon eine geschlagene halbe Stunde.

Voss (immer noch außer Atem): Entschuldigen Sie, lieber Blohm. Aber Sie glauben ja gar nicht, was mir soeben widerfuhr ...

Dr. Blohm: Das klingt ja monströs! Sprechen Sie, welches Ereignis trieb Ihnen diese Verängstigung aufs Gesicht? Ihnen ist doch nichts zugestoßen?

Voss: Mir nicht. Ich fuhr mit dem Fahrrad. Da ich zu früh dran war, entschloss ich mich, noch durch den Bürgerpark zu fahren ...

Dr. Blohm: ... kann ich verstehen, mein Lieber, die vielen Menschen verströmen gute Laune wie der Flieder im Juni seinen herrlichen Duft.

Voss: Genau, so irgendwie. Ich wollte mein Fahrrad gerade in Richtung Schlachthof lenken. Voller Vorfreude auf unsere Zusammenkunft. Als mir plötzlich ein Schwan direkt in den Weg lief.

Dr. Blohm: Ein Schwein?

Voss (lauter): Ein Schwan! Sie wissen schon, große, weiße, gefiederte ...

Dr. Blohm: Natürlich weiß ich, was ein Schwan ist. Lassen Sie doch den Unsinn. Man sieht schon zu uns herüber.

Voss: Also: Der Schwan läuft mir direkt vors Rad ...

Dr. Blohm (entsetzt): ... ist dem Tier etwas passiert?

Voss: Das fragte ich mich auch. Ich stieg ab, um nachzuschauen, ob vielleicht tierärztliche Unterstützung nötig ist. Sie können sich denken, man steht ziemlich blöd da. Hier der Vogel, dort die Leute, die einen anstarren als hätte man gerade den dritten Weltkrieg ausgelöst.

Dr. Blohm: Und Sie?

Voss: Zum Glück war das Haus der Parkverwaltung direkt in der Nähe. Ich stelle also mein Rad an einen Baum, nehme das arme Tier auf den Arm ...

Dr. Blohm: ... wenn Sie mich mal nicht auf den Arm nehmen! Sie werden zugeben, es ist eine reichlich haarsträubende Erklärung für ihre Verspätung. Im Übrigen hätte es einer solchen kaum bedurft, schließlich ist die Rockmusik, die hier gespielt wird so rührend altmodisch, dass mir die Zeit, nun ja, fast wie im Fluge verging.

Voss: Aber es stimmt. Zum Glück war der Parkwächter sehr freundlich. Machte sich gleich an die Versorgung des Tieres.

Dr. Blohm (übertrieben warnend): Wenn da mal nichts nachkommt, Voss. Doch ernsthaft: Passenderes hätten Sie zum heutigen Nachmittag kaum beitragen können. Schließlich hat der Sänger gerade vor Ihrem überstürzten Eintreffen erklärt, dass man sich für poetisch nicht ganz fähig halte und darob Musik der „Ramones“ interpretiere. Und die haben einmal einen Song über einen Tierfriedhof gemacht.

Voss: Wahrscheinlich ist es das, was Sie, lieber Blohm, immer die Ironie des Schicksals nennen? Ich geh mir besser mal ein Bier holen. Möchten Sie auch irgendetwas?

Dr. Blohm: Hm, ich denke, ich nehme auch ein Bier. (augenzwinkernd) Auf den Schrecken! Doch lassen Sie mich gehen. Sie haben bisher ja kaum etwas von dieser Darbietung mitbekommen.

Voss setzt sich, derweil sich Dr. Blohm durch die Menge kämpft. Nach einigen Minuten kehrt er zurück, in jeder Hand eine Bierflasche.

Voss: Oh, danke.

Dr. Blohm: Zum Wohl! Was ist denn jetzt, alles schon vorbei?

Voss: Nein. Dem Gitarristen ist eine Saite gerissen. Geht gleich weiter.

Dr. Blohm: Na schön. Derweil können Sie mir vielleicht weiterhelfen: Ich grübelte über den Namen der Band. Den Teil „Ramanoes“ verstehe ich. Und dass sich beim vorbildgetreuen Gebrauch von Sedativa ein Buchstabendreher einschleichen kann, nun gut ...

Voss: ... dabei wirken die vier nicht gerade wie mit Arzneien voll gepumpt. Und auch die Posen des Sängers scheinen eher liebevolles Zitat denn wirklich gelebt.

Dr. Blohm: Stimmt. Übrigens: Ist Joey Ramone nicht vor kurzem erst von uns gegangen?

Voss: Ja. Kaum verwunderlich eigentlich. Bei dem Lebensstil!

Dr. Blohm (sinnierend): Ach ja, der versehrte Körper als Kunstwerk. Aber des Namens zweiter Teil. Die „Bohlens“. Das bezieht sich doch wohl nicht auf diesen unerträglichen Schnösel, der sich die Omnipräsenz eigens erfunden hätte, gäbe es sie nicht schon?

Voss: Allein dafür, dass er uns durch dies schmutzige Hickhack eine weitere, wie sagten Sie: „Omnipräsenz“ beschert hat, müsste der in der Tat erschossen werden.

Dr. Blohm (hebt lachend den Zeigefinger): Na na, Voss. Dass das bloß keiner mitkriegt. Sie sprechen von Bohlens Exfrau Verona Feldbusch?

Voss: Genau, dauernd musste ich mit meiner geliebten Gattin streiten. Die findet die Dame ja soooo hübsch.

Dr. Blohm (verschluckt sich fast am Bier): Na, vielen Dank auch.

Der Gitarrist brüllt „One, two, three, four, five, six, seven, eight“ ins Mikrofon.

Dr. Blohm: Wie dem auch sei. Zählen können sie jedenfalls.

Voss: Ich?

Dr. Blohm: Nein, das heißt, ja. Natürlich können Sie zählen. Aber das meinte ich nicht. Die vier Musiker.

Voss: Bitte?

Dr. Blohm: Nun ja, das Stück heißt „Rock'n'Roll Highschool“. Und ich dachte gerade an die ewige Rede von den amerikanischen Verhältnissen, die den Bewahrern des Guten und Schönen pausenlos aus dem Mund purzelt. Wie man sieht, scheint aller Infiltration zum Trotz die elementare Mathematik kein Problem zu sein.

Voss: Sicher nicht. A propos: ein zweites Bier?

Dr. Blohm: Nicht schlecht, Voss. Und das Bier nehme ich natürlich gerne.

Voss: Schön. Und was machen wir nach dem Konzert? Ist sicher gleich vorbei.

Dr. Blohm: Wenn die Regenwolken vorüberziehen: Wie wär's mit Taubenvergiften im Park?