„Die Polizei muss Vertrauen erwerben“

Manfred Such, Opferschutzbeauftragter der Soester Polizei, über militante Demonstranten in Genua und Deeskalationsprojekte in Deutschland

taz: Was haben denn die italienischen Polizeibehörden beim G-8-Gipfel in Genua falsch gemacht?

Manfred Such: Sie haben kein eindeutiges Deeskalationsprojekt verfolgt, so wie es die Länderpolizeien oder der Bundesgrenzschutz in den vergangenen Jahren in der Bundesrepublik gelernt haben. Diese haben ihre Erfahrungen bei Großdemonstrationen gesammelt, etwa bei der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf oder der Frankfurter Startbahn West.

Was ist der Kern eines solchen Deeskalationsprojektes?

Es ist die Zusammenarbeit mit den Demonstranten. Die Polizei muss auf deren Anliegen eingehen und absprechen, was kann sie machen, was haben die Demonstranten vor.

Eine Zusammenarbeit ist notwendig, auch auf die Gefahr hin, dass sich so genannte Gewalttäter unter die Demonstration mischen.

Beamte und Veranstalter sollten Konzepte entwickeln, wie diese von vornherein isoliert werden können. Diese Personen aus der Demonstration herausholen, ist Aufgabe der Polizei. Sie sollte dabei geringfügige Straftaten tolerieren, damit nicht das ganze Demonstrationsgeschehen aus dem Ruder läuft. Und es dürfen keine Provokationen von Beamten ausgehen. Das ist in Genua ganz offensichtlich durch das Auftreten der Einsätzkräfte geschehen. Die martialische Zurschaustellung der Ausrüstung hat die Spannungen erheblich erhöht.

Gewalttätige Auseinandersetzungen bei Gipfeltreffen gab es in Seattle, in Göteborg und jetzt in Genua. Ist das eine neue Form des Protestes?

Das ist es sicher nicht. Militante Proteste haben wir in der Vergangenheit auch in Deutschland erlebt. Festzustellen ist aber eine quantitative Steigerung.

Als Konsequenz fordern Regierungen wie die deutsche die europaweite Erfassung mutmaßlicher militanter Globalisierungsgegner.

Solche Gewälttäterdateien werden kaum dazu führen, dass es keine weiteren Eskalationen gibt. Das Potenzial, sich gewalttätig zu verhalten, wird durch die Einführung solcher Dateien eher erhöht. Mit mehr Überwachung und schärferen Polizeigesetzen wird das Problem militanter Auseinandersetzungen nicht gelöst.

Lässt sich ein Demonstrationsverlauf wie am Wochenende in Genua in der Bundesrepublik ausschließen?

Ausschließen lässt sich das nicht. Ich denke aber, dass die Polizei in Deutschland aus der Vergangenheit gelernt hat und heute einen gepflegteren Umgang mit friedfertigen Demonstranten übt.

Auszuschließen ist das aber insofern nicht, als man nie ganz sicher sein kann, von welchen Personen die Gewalt ausgeht. Die Polizei hat ihre Unschuld verloren, indem sie V-Leute in Demonstrationen geschleust hat, die dann selber gewalttätig wurden. In Deutschland war das so, und auch in Italien ist nicht auszuschließen, dass Gewalt von Polizeispitzeln ausgegangen sein kann.

Tote bei Demonstrationen hat es in Deutschland auch gegeben. 1990 etwa wurde in Leipzig ein Hooligan von Polizisten erschossen, in Frankfurt wurde ein Demonstrant von einem Wasserwerfer überrollt und tödlich verletzt.

Da gibt es sicher Parallelen zu Genua. Die Polizei war bei diesen Einsätzen überfordert, hat aber aus den Ereignissen gelernt.

Anders als die Polizei in Italien?

Die italienische Polizei lebt ja nicht auf einer Insel, sie hätte von der deutschen Polizei lernen können. Ein Todesfall durch überforderte oder unter Stress geratene Polizisten darf es nicht geben. Da ist der Ausbildungsstand mangelhaft, so wie es die Vorbereitungen auf den Einsatz wohl auch waren.

INTERVIEW: WOLFGANG GAST