Späte Einigung im Beichtstuhl

Bis zuletzt war höchst unsicher, ob man sich in Bonn auf gemeinsame Regeln für die Umsetzung des Kioto-Protokolls würde verständigen können

aus Bonn MATTHIAS URBACH

„Ich sehe keine Bedenken – damit ist der Text verabschiedet.“ Viele der Delegierten aus rund 180 Länder realisierten erst, was Tagungspräsident Jan Pronk gesagt hatte, nachdem sein Holzhammer bereits gefallen war. Damit waren gestern um zwei Minuten nach zwölf die zähen Verhandlungen beendet und die Regeln zur Umsetzung des Kioto-Protokolls endlich verabschiedet.

Ganze sieben Minuten hatte Pronk gebraucht, um den endgültigen Kompromiss durchs Plenum zu peitschen. Die Eile war Absicht, wollte er doch verhindern, dass doch noch eines der Länder vom vereinbarten Kompromiss abweicht. Doch niemand widersetzte sich: nicht die Delegationsleiterin der USA, die versprochen hatte, sich zu enthalten – weil die USA ohnehin das Kioto-Protokoll nicht ratifizieren wollen. Auch nicht der Unterhändler aus Saudi-Arabien, dessen Land ebenfalls dem Abkommen nicht beitreten will. Er beschränkte sich darauf, aus Protest demonstrativ nur auf Arabisch zu reden. Das war’s.

Lange hatte es so ausgesehen, als könnten die Verhandlungen noch scheitern. Nachdem Pronk am Samstagabend seinen Kompromissvorschlag unterbreitet hatte, waren vor allem Japan, Kanada und Russland nicht bereit, alle Einzelheiten zu akzeptieren. In der Nacht zum Sonntag musste Tagungsleiter Pronk offiziell feststellen, dass diese Staaten nicht bereit waren, die Vorschläge zur Erfolgskontrolle zu akzeptieren. Er öffnete diesen Aspekt seines Kompromisspakets wieder. Für die EU war dies der heikelste Moment: Schließlich hatte sie in den anderen Bereichen Kompromisse akzeptiert, um sich wenigstens mit einer strengen Kontrolle der Klimapflichten durchzusetzen.

An dieser Stelle war Pronk drauf und dran, die strittige Frage zu vertagen. Das hätte das Scheitern bedeutet, denn für die EU war dieser Punkt nicht von den anderen zu trennen. Doch die EU und die Gruppe der Entwicklungsländer, die G 77, bestanden auf einer Entscheidung. So kam es schließlich zur „Beichtstuhl“-Lösung: Die 20 entscheidenden Minister wurden mit jeweils einem Berater in den nur 40 Quadratmeter kleinen „Saal Planck“ im Hotel Maritim eingesperrt. Es gab nicht genügend Stühle und nichts zu trinken. Die Regel: Keiner verlässt den Raum, bevor es nicht ein Ergebnis gibt. Da war es fünf Uhr früh.

Fünf Stunden brauchten die Minister – zum Teil schon seit zwei Tagen und Nächten auf den Beinen –, bis sie weich gekocht waren. Die „Umbrella“-Gruppe, in der Japan, Kanada und Russland den Ton angeben, wollten über die Kontrollen später entscheiden, und sie wollten eine Mehrheit der Industrieländer in dem Gremium, das die Klimaschutzmaßnahmen der Staaten kontrollieren soll. Nach Pronks Vorschlag sollten die Entwicklungsländer in der Mehrheit dort sein. G 77 und EU hielten dagegen.

Schließlich bot die EU stattdessen zwei Zugeständnisse: Keine finanziellen Strafen mehr für Klimasünder und keine völkerrechtliche Verpflichtung für Klimasünder für Ersatzmaßnahmen. Pronk fragte jedes Land einzeln – zuletzt die Bremserstaaten aus der „Umbrella“-Gruppe. Erst Neuseeland, das zustimmte, dann Japan, das nach einigem Zögern auch zustimmte. „Dann fiel der Rest wie Dominosteine um“, erzählt Umweltminister Jürgen Trittin. Um zehn Uhr war der Kompromiss da.

Gelöst erzählt Trittin in der Lobby von dem Ergebnis: „Mit unserer geschlossenen EU-Strategie haben wir es geschafft, in Bonn das Kioto-Protokoll zu retten.“ Die Zugeständnisse seien die Sache wert gewesen, denn nun sei endlich der „endlose Klimazirkus beendet“.

Auch die EU-Umweltkommissarin findet in der anschließenden Pressekonferenz große Worte. „Endlich kann ich meinen Kindern wieder in die Augen sehen.“ Selbst die Umweltschützer bewerten das Ergebnis als einen Erfolg: „Die EU und die Entwicklungsländer haben die Bonner Verhandlungen vor den destruktiven Händen von Japan, Kanada und Australien bewahrt“, erklärt Bill Hare from Greenpeace International. Obwohl den Umweltverbänden überwiegend klar ist, dass die Schlupflöcher im Kioto-Protokoll hier in Bonn vergrößert wurden, so sind sie doch froh, dass es überhaupt ein Protokoll gibt.

So halten die meisten Beobachter die Maßnahmen zur Erfolgskontrolle für ausreichend. Denn trotz der Zugeständnisse müssen Länder, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, künftig einen nationalen Aktionsplan vorlegen. Außerdem droht Klimasündern ein Ausschluss vom Handel mit Emissionsrechten – eines der zentralen Schlupflöcher.

Zwar fehlt nun mit der „völkerrechtlichen Bindung“ das „Sahnehäubchen“, wie der deutsche Delegationsleiter Karsten Sach meint. Doch Umweltschützer wie EU-Delegierte sind überzeugt, dass das Kioto-Protokoll selbst genug bindende Wirkung erzeugt.