Schrippe mit Herz

Der Brötchenschlitzer: Erick Zoncas Film „Der kleine Dieb“ nähert sich dem Thema Jugendgewalt etwas altbacken

Dass nicht alles stimmt, was in der Bäcker-Blume über die Herrlichkeit von Sonnenaufgängen vor Backstubenfenstern behauptet wird, wissen wir. Auch dass die „Lächel mich an“-Brötchen meiner Bäckerei an der Ecke nicht zurücklächeln, wenn ich sie vor dem Schmieren angriene.

Im harten Jugendmilieu in der französischen Mittelstadt aber – dort wo der Asphalt nach Rebellion, Krawall und Rassismus riecht – ist das Bäckerhandwerk imagemäßig längst vollends den Baguette-Bach runter. Nicht nur deshalb lässt Regisseur Erick Zonca seinen jungen Mann mit dem Namen „S.“ den Versuch unternehmen, mit kleinkriminellen Methoden seine Brötchen zu vergrößern.

Daraus resultiert allerdings vor allem eine Vergröberung der Lebensumstände. Denn in die Villen der Reichen einbrechen und allen Schmuck und auch die Billig-CDs mitnehmen, ist nicht gerade stressfrei. „S.“ muss Boxen lernen, um den ganz großen Zampano zu mimen. Viele der herkömmlichen Männerrituale lässt Zonca noch einmal vor uns ablaufen – leider kennen wir die meisten davon schon aus anderen Filmen.

Die schweißtreibende Arbeit an der Vervollkommnung von Muskelpaketen wird hautnah dokumentiert – nur weiß man immer nicht so recht, ob Zonca nun Werbung für Boxstudios betreiben will oder nur umständlich mehr Lehrstellen einklagt. Fast bekommt man Lust auf fröhliche, gesunde Menschen, die glücklich ihr Croissant mümmeln. Aber „kleine Diebe“ sollen nun mal durch Lakonie, Leidenschaftslosigkeit und emotionslose Blicke, abgeschaut von russischen Mafiakillern, sogar bei der Anmache bestechen.

Herrn „S.“ verfolgen wir trotzdem mit einer gewissen Sympathie. Denn er ist wieder mal einer, bei dem wohl nur der richtige Sozialarbeiter kommen müsste, und schon wäre wieder eine verschüttete gute Seele freigelegt. Ist er nicht nett, wie er da so die Wohnung der alten Frau aufräumt, ohne auch nur einen Franc als Belohnung zu nehmen? Und auch zu den Nutten seines Chefs, auf die er aufpasst, ist er richtig großherzig – nicht mal einen Freifick fordert er. Zonca will die Story denn auch noch ein wenig vertiefen. Das versucht er durch ein Vergangenheitskonstrukt. Die alte hilflose Dame, die „S.“ frustriert durch den schrecklich unpersönlichen Supermarkt lenkt, war wohl mal in der Resistance. Als junges hübsches Mädchen sieht man sie auf Fotos. Und Fahnen und Nazis. Spät dann, als „S.“ bei einem Einbruch einen Kumpel vom Balkon gestoßen hat und in der Sackgasse ist, wird die alte Frau noch einmal zum Symbol für ein Opfer, das es am wenigsten verdient hat.

„S.“ bekommt diese späte Erkenntnis zunächst gar nicht gut. Und hier wird der Film plötzlich dermaßen rasant, das man Zonca plötzlich für sein Timing bewundert. „S.“ überlebt und scheint nun tatsächlich geläutert: brav backt er wieder Brötchen – und dem Mädchen, dem er nach einer Nacht das Geld geklaut hatte, schickt er seinen ersten Lohn. Pädagogisch wertvoll und wie gemacht für Schulprojekttage zum Thema Jugendgewalt.

ANDREAS BECKER

„Le Petit Voleur – Der kleine Dieb“. Regie: Erick Zonca. Mit Nicolas Duvauchelle. Frankreich 1998, 63 min.