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Berlin verabschiedet sich vom unbedingten Erhalt der Plattenbauten im Ostteil. In Marzahn werden 900 Wohnungen abgerissen. Sie stehen leer, sind unwirtschaftlich. Der Wegzugswille steigt rapide

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Über den Plattenbausiedlungen im Ostteil der Stadt kreist nicht nur der Pleitegeier, sondern jetzt auch die Abrissbirne. Wegen wachsender Leerstandsquoten sollen allein im Bezirk Marzahn jetzt rund 900 Wohnungen in der Großsiedlung abgerissen werden.

Nach dem Beschluss, das 21-geschossige Hochhaus in der Marchwitzastraße abzureißen, plant die Wohnungsbaugesellschaft Marzahn mbH nun, zwei weitere Betontürme zu sprengen. Zugleich verabschiedet sich die Wohnungsbaugesellschaft von der langjährigen Strategie, auch leer stehende Wohngebäude zu erhalten. Unrentable Bestände „müssten profitableren Möglichkeiten weichen“, sagte Hartmut Meuter, Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft Marzahn (WBG Marzahn), auf einer Tagung des „Werkbundes“ zum Thema „Was wird aus den Berliner Großsiedlungen“.

Nach Ansicht von Meuter „hat sich die Situation in der Siedlung im Gegensatz zu 1990 entscheident verändert“. War damals noch von einem unbedingten Erhalt und der Sanierung der Plattenbauten die Rede, könnten heute durch den dramatischen Wegzug von Mietern eine Vielzahl der leeren Wohnungen nicht mehr vermietet und mangels Einnahmen renoviert werden. Wo es keinen wirtschaftlichen Ansatz mehr gebe, die „Wohnungen an den Markt zu bringen“, so Meuter, sei die „Wegnahme und der Abriss“ von Gebäuden sinnvoll.

Von den 32.000 Wohnungen der WGB Marzahn stehen heute 16 bis 18 Prozent leer. Die Schulden der landeseigenen Gesellschaft belaufen sich auf rund 1,5 Milliarden Mark. Die WGB soll darum für einen Euro an die DeGeWo verkauft werden. Insgesamt stehen in Berlin fast 130.000 Wohnungen leer. Die 167.000 Plattenbauwohungen im Ostteil verzeichneten in den letzten zwei Jahren einen überproportionalen Anstieg am Leerstand.

Und es kommt noch dicker: Nach einer Umfrage im Plattenbaubezirk Hellersdorf (37.000 Wohnungen) – erläuterte Rudolf Kujaht von der WBG Hellersdorf – existierten nicht nur „große Vermietungsprobleme“ in dem Bezirk. 35 Prozent der ansässigen Mieter empfinden ihre Wohnungen als „zu klein“ und in qualitativ schlechtem Zustand. Sie würden bereits an Umzug denken, so Kujaht. Außerdem liegen nach Auskunft von 53 Prozent der Hellersdorfer Mieter ihre Wohnungen zu weit von ihren Arbeitsstätten in der Innenstadt entfernt – auch weil in den Schlafstätten-Bezirken Arbeitsplätze Mangelware seien.

Während Bausenator Peter Strieder (SPD) auch von der einstmals anvisierten Erhalt-Linie des Senats abrückt und „einzelne leer stehende Gebäude“ zum Abschuss freigibt, warnen Architekten und Wohnungswirtschaftsexperten vor Rückbaukonzepten. Nach Ansicht von Wolf Eisentraut, Architekt aus Ostberlin, bedeute flächendeckender Abriss „ein Signal für noch schneller ansteigende Leerstände“. Zudem sei eine solche Methode „kontraproduktiv“, um neue Mieter zu finden. „Abrisse verstärken die Probleme“, so Eisentraut. Vielmehr müsse die Wohnungsqualität erhöht werden. So sollten etwa die Wohnungen neu zugeschnitten, größer und besser ausgestattet werden. Zudem müssten sich die Wohnungsbaugesellschaften aktiv auf die Suche nach „neuen Belegern“ machen und nicht, wie im Falle Marzahns, das Image weiter schädigen. In der Vergangenheit war die WBG Marzahn mehrfach kritisiert worden, sie habe die Bauten nur äußerlich renoviert, während Bäder verschimmelten.