Nachfolger von Mutti und Vati

DAS SCHLAGLOCH von VIOLA ROGGENKAMP

Da lehnt sie mit reiner Haut am Strohhalm ihrer Cola-Rum, und ihr pickeliger Held kommt auf sie zu

„Scarlett O’Hara ging hin, um in einem Kleid aus ihrer Mutter Samtvorhängen und mit den Schwanzfedern ihres Hahnes auf dem Hut die Welt zu erobern.“

Margaret Mitchell, „Vom Winde verweht“

Ich hab Pickel, aber ich bin der Einzige, der dich anspricht.“

Hamburger Morgenpost, „Die besten Flirttips“

Das erste Zitat aus einem der erfolgreichsten Romane des 20. Jahrhunderts zeigt eine Frau, die weiß, was sie hat, und die das, was sie hat, für sich selbst einsetzt. So sind Frauen selten. Viel zu selten.

Im zweiten Zitat kommt auch eine Frau vor, die aber inaktiv ist und ohne eigene Sprache zu sein scheint. So sind Frauen oft. Viel zu oft. Dieses zweite Zitat könnte das Exposee für einen Film sein, und der geht so:

Ein pickeliger Jüngling spricht ein Mädchen an. Er ist ganz arm dran, weil er so furchtbar pickelig ist, doch mitten in der Disco fasst er sich ein Herz und geht auf dieses pickelfreie weibliche Wesen zu. Schon ist das Publikum auf seiner Seite. Ist er nicht süß mit seiner Akne? Und sie? Was hat sie schon zu bieten? Keinen einzigen eitrigen Pickel. Nur eine Zahnspange. Da lehnt sie mit reiner Haut am Strohhalm ihrer Cola-Rum und sieht, wie er auf sie zukommt, unser pickeliger Held.

Ganz ähnlich könnte es zwischen Helmut Kohl und Hannelore Renner angefangen haben, auf dem Tanzboden der Gaststätte „Zum Weinberg“. Sie war fünfzehn, und er war drei Jahre älter und behauptete, Bundeskanzler werden zu wollen. Natürlich glaubte sie ihm kein Wort und ging erst einmal nach Paris, um Französisch zu lernen. Doch weiter in unserem Kassenschlagerfilm:

Dort kommt er also und sagt seinen Spruch auf: „Ich hab Pickel, aber ich bin der Einzige, der dich anspricht.“ Und sie? Sie ist ihm so dankbar, denn ohne diesen verklemmten, pickeligen Schwitzer wäre sie nichts und würde bestimmt noch an ihrer Strohhalm-Cola-Rum lehnen. Zwar hatte sie vor, Börsenmaklerin oder Dolmetscherin zu werden, aber ist das noch von Wichtigkeit? Wo er doch etwas ganz anderes will? Sie bewundert ihn und bepudert ihn in den folgenden Jahren, in denen sie längst ihre Zahnspange abgelegt hat, bis er pickelfrei glänzt, und dann betrügt er sie mit einer anderen, an die er sich früher, als er noch ein Pickelpuper war, nie rangewagt hätte.

Die von ihm verlassene Frau bekommt vor Wut Allergien und sieht auf einmal ganz pickelig aus. Außer Pickel und der Tatsache, dass sie seine betrogene Ehefrau ist, glaubt sie nichts vorweisen zu können. Ein Blick in den Spiegel sagt ihr, dass sie sich so nicht vor die Tür wagen und keinem Mann zumuten kann. So viel Pickel auf der Frau hält ein Mann nicht aus, ihrer auch nicht. Schon ein einziger Pickel an ihr kann ihm nachhaltig den Appetit verderben, und das schadet seiner Potenz.

Der Mann ist das schwächste Glied und seit Menschengedenken empfindlich. Damit es ihm besser geht, macht er sich gegenüber der Frau so lange wichtig, bis sie nur noch an ihn und nicht mehr an sich selbst glaubt. Das ist seit Jahrhunderten eigentlich schon alles. Nur hin und wieder kommt eine Scarlett O’Hara vorbei und nimmt den Pickelpuper einzig deshalb, weil sie ihn zur Verwirklichung ihrer Pläne gebrauchen kann.

Doch Hannelore Kohl war keine Scarlett O’Hara. In ihrer Ehe war seine Größe das Maß. Seinetwegen wurde aus dem Familienhaus ein Hochsicherheitstrakt, in dem er die wenigste Zeit zubrachte. Aber sie mit ihren und seinen Kindern. Und dann nur noch allein mit dem Hund. „Vor allem warten können“, da habe sie viel von ihrem Hund gelernt. Kummer in sein Fell geweint. Auch Wut. Und drum herum die Betonmauer vom BKA.

Lichtallergie. Das Wort kam wie eine metaphorische Botschaft, wie ein blitzlichthafter Reflex auf dunkle Machenschaften. Nicht ihre. Doch sie floh das Licht. In der Öffentlichkeit trat sie als sein gewahrter Schein auf. Die Ehefrau, die seit Jahren betrogen war. Nicht einmal das zählte wirklich. Eine Frau ohne Bedeutung, ohne Belang.

Für sie war ihre Demütigung öffentlich, darüber versteinerte ihr Gesicht, wurden Haut und Augen empfindlich. Rückzug aus der Sonne ins Haus. Rückzug in die Dunkelheit. Als letzter Ort schien das Nichts zu bleiben. Der eigenhändig herbeigeführte Tod wurde zur letzten Möglichkeit von Dasein für eine Frau, die keinen eigenen Ort mehr in sich finden konnte.

Die Erschütterung über den Selbstmord der Hannelore Kohl war verbreitete Reaktion. Gerade auch bei denen, die in ihrer Betonmiene unter der toupierten Ponyfrisur die Personifizierung der Frau als Plastikpuppe sahen. Doch eine Plastikpuppe bringt sich nicht um.

Wohl weniger der Frau, die Hannelore Kohl gewesen sein mag, galt die allgemeine Erschütterung, sondern der Verzweiflungstat dieser als Frauentyp verachteten Frau. Dass ihr sorgfältig vorbereiteter und erfolgreich durchgeführter Selbstmord denen Achtung abnötigt, die sie als Frau verachteten, erinnert an die Wirkung, die Menschenopfer (vorwiegend Frauen) auf das Volk hatten und haben. Dahin würde dann auch die Trauerfeier gehören, die grandiose Abschiedsinszenierung im Dom, mit der erneut der Mann die Tat der Frau vereinnahmte.

Dass Frauen dem Mann Verfügungsmacht über ihr Leben geben, ist nichts Überwundenes

Hinter der nachträglichen Würdigung, dem leisen Respekt vor der lebend bedeutungslosen Frau verschwindet die erste Erschütterung, in der noch zu erkennen gewesen war, was als individuelle und gesellschaftliche Schuld gegenüber einer Frau wie dieser Frau bezeichnet werden muss.

Hannelore Kohl schien der Prototyp der Reihenhausmutti zu sein, der spießigen Gattin, eine Frau ohne eigenes Begehren, ohne eigenes Profil. Eine Frau, zu der Frauen gemacht werden und zu der sich Frauen machen lassen. Eine Frau, von der die meisten Menschen glauben, sie in ihrer eigenen Familie zu haben. Keineswegs lässt sich ihr Lebensverlauf auf ein „idealtypisches Frauenschicksal aus der Vor-Emanzipations-Zeit“ reduzieren (siehe taz vom 11. 7.).

Dass Frauen dem Mann Verfügungsmacht über ihr eigenes Leben geben, zu seinem Anhängsel werden – und er sie so will –, ist nichts Überwundenes zwischen Frau und Mann. Wenn am Ende ihr völliger Selbstverlust steht, kann am Beginn einer solchen Beziehung seine von sich selbst abgespaltene Scham gestanden haben. Sich ihm als die Stützende anzubieten und sich in dieser Rolle zu unterwerfen, wird der Frau bereits als Tochter von ihrem Vater beigebracht worden sein und sich möglicherweise nicht von dem unterscheiden, was schon ihre Mutter mit sich machen ließ.

Die propagierte Erscheinung einer sich dem Mann unterwerfenden Frau ist heutzutage anders als in der Elterngeneration. Poliert, strahlend, fit. Der heutige Mann wäre ja der Spießer, der sein Vater ist, würde seine Plastikpuppe nicht so emanzipiert aussehen wie Verona Feldbusch, die darin nur mehr die Tochter einer Hannelore Kohl bleibt. Der Frau ist ihre Selbstidealisierung heute erlaubt, wenn sie darin dem Mann als Objekt nicht verloren geht.

Noch spürbar im Blick auf das Ehepaar Kohl ist der Schreck über diese Gewissheit: Was unter dem Dach von Mutti und Vati passierte, ist das, was die Mehrheit der Töchter und Söhne fortführt.

Fotohinweis: Viola Roggenkamp lebt als freie Publizistin in Hamburg