Fette Beute

Sie war die Frau vor Ort, die für die Kunsthalle nach den verschwundenen Originalen forschte: Anne Röver-Kann, Kustodin des Kupferstichkabinetts und Kunsthistorikerin, erzählt im taz-Interview von ihren Erfahrungen mit Kunstraub und Schwarzmarktbeschaffung.

taz: Sie kommen von einer erfolgreichen „Mission“ zurück. Was für ein Szenario haben Sie in New York vorgefunden?

Anne Röver-Kann: Wir trafen den japanischen Strohmann, Herrn Koga, in einem ziemlich heruntergekommenen Hotelzimmer in der Nähe der Central Station. Die ganze Etage drumherum war von der Zollfahndung gemietet – schließlich rechneten wir damit, dass eine große mafiöse Organisation dahinter stecken würde.

Ist es Ihnen während der ganzen Aktion mal zu brenzlig geworden?

Was in den Zeitungen von „dramatischen Szenen im Hotelzimmer“ stand, ist Quatsch – die bisherige Berichterstattung über die Aktion war sowieso ziemlich verdreht, die Bild-Zeitung hat es sogar fertig gebracht, ein ganz anderes „Frauenbad“ abzudrucken. Im New Yorker Hotelzimmer war das Problem schlicht und einfach, dass Herr Koga die Bilder – entgegen der Absprache – nicht dabei hatte und uns nach „Little Odessa“, dem russischen Emigrantenviertel, lotsen wollte – und das ist in der Tat ein ziemlich heißes Pflaster.

Was haben Sie konkret befürchtet?

Ich lass' mich nicht so leicht aus der Ruhe bringen – aber das hätte ja eine Falle sein können, genauso wie wir Herrn Koga eine gestellt hatten. Als wir immer länger hinter seinem weißen BMW herfuhren, wurde uns zunehmend ungemütlich, und schließlich hat uns auch die Zentrale per Funk angewiesen, uns abzusetzen und zurückzukommen.

Wie waren Sie persönlich geschützt?

Ich hatte ständig einen Undercover-Agenten an meiner Seite, einen Spezialisten von der Drogenfahndung. Der war als Mitarbeiter des Kunstvereins getarnt. Außerdem war ständig ein Netz von unsichtbaren Beamten um uns herum, mit denen wir in Funkkontakt standen. Koordiniert wurde die ganze Aktion von Bonnie Goldblatt, einer Special Agent der Zollbehörde. Von ihr wurde ich durch Rollenspiele trainiert, mit den Hehlern immer laut und deutlich zu sprechen, damit sie am anderen Ende der Wanzen alles mitbekamen.

Zahlt Ihnen Ihr Arbeitgeber eigentlich eine Gefahrenzulage?

(lacht) Nein. Die Kunsthalle hat ja schon Schwierigkeiten, die logistischen Kosten der Aktion zu bezahlen. Die Anwaltskosten, Flüge und so weiter haben uns 300.000 Mark gekostet.

Haben auch die Zeichnungen diesen „Beutekunst-Krimi“ gut überstanden?

Leider sind etliche Blätter stockfleckig geworden. Eines ist sogar mit einem Finger durchstochen worden. Aber in den nächsten Wochen werden wir sie alle gründlich restaurieren.

Die Aktion in New York war nicht Ihr erster Einsatz in Sachen Schwarzmarktkunst ...

Ich bin in der Tat schon oft mit Schwarzmarktkunst unterm Arm durch die Gegend gefahren. Seit Ende des Krieges haben wir bestimmt schon 50 Blatt zurückgeholt, darunter auch sehr wichtige Dürer-Zeichnungen. Allerdings machen wir das in aller Regel lieber unauffällig.

Dieses Mal war alles ein wenig anders ...

Ja. Die ganze Aktion war von langer Hand vorbereitet. Die oberste US-Zollbehörde wollte ein Exempel statuieren, das durch die gerichtliche Klärung der Eigentumsverhältnisse ja auch bestätigt wurde.

Es war der erste Strafprozess in den USA um in Kriegen verschollenes und gestohlenes Kunstgut. Jetzt gibt es die begründete Hoffnung, dass New York für Schwarzkunsthändler verbrannt ist.

Seit 1988 nutzt die Kunsthalle „schwarze Wege“, um ihr verschlepptes Eigentum zurück zu bekommen. Welche Erfahrungen haben Sie mittlerweile auf dem internationalen Schwarzmarkt gesammelt?

Die meisten Schwarzmarkthändler haben horrende Preisvorstellungen. Dazu kommt, dass viele frühere Zuschreibungen, etwa von vermeintlichen Dürern, nicht mehr aufrechterhalten werden können – aber das glauben uns die Anbieter natürlich nicht.

Bestimmte Bilder bekommen wir dann alle zwei, drei Jahre wieder angeboten: Sie wandern von einem Händler zum nächsten, auf diese Weise bekommen wir die Bilder wenigstens hin und wieder zu Gesicht.

Schaffen Sie es bei den Treffen, den Anbietern ein schlechtes Gewissen zu machen?

Ich erkläre denen durchaus, dass es sich um unser Eigentum handelt, was wir da zurück kaufen sollen. Und manche sehen auch ein, dass die Zeichnungen eher zu uns als unter ihr Bett gehören und reduzieren die Forderungen.

Welche Bedeutung hat das Thema Beutekunst für die Bremer Kunsthalle?

Bremen zählt neben Dresden und Berlin zu den Museen mit den größten Verlusten durch Kunstraub. Der Grund dafür ist einfach: Als die Kunsthalle den Befehl zur Auslagerung bekam, bot Graf Königsmark, der ein Freund des damaligen Kunsthallendirektors Waldmann war, sein Landhaus in Karnzow/Brandenburg als Lager an – und das erwies sich dann als zu östlich gelegen: also Pech gehabt.

Wieviele Kunstwerke vermissen Sie denn noch?

Von den 1.650 Stück, die in Karnzow lagen, haben wir mittlerweile gut 300 zurückbekommen, darunter die berühmte 101-Sammlung aus Moskau. 360 weitere Blätter habe ich in der Eremitage gesehen, circa 100 lagern im Puschkin-Museum. Und von rund 1.000 Blättern wissen wir gar nichts.

Mittlerweile ist es Usus, den Hehlern eine als „Finderlohn“ bezeichnete Summe zu bezahlen. In welchem Rahmen bewegen sich die Preise?

Wir haben uns mit Dresden und Berlin abgesprochen, nicht mehr als zehn oder höchstens 15 Prozent zu zahlen, sonst würden wir uns gegenseitig die Preise verderben – außerdem können wir uns größere Summen gar nicht leisten, schließlich gibt es keinen extra „Schwarzmarkt-Etat“ in unseren Haushalten.

Interview: Henning Bleyl