Scholle contra Seehund

■ Wer killt zu viele Plattfische in der Nordsee? Die Seehunde oder die Fischer? Der Streit zwischen Fischer und Naturschützern laviert zwischen Abschießen und Überfischung

Niiiieeeedlich sind sie, freuen sich die Nordsee-Touristen. Killer sind sie, kritisieren dagegen die deutschen Fischer. Beide reden von demselben: den Seehunden an der Küste, die zwar immer viele Touris-ten anlocken, aber eben auch Fische fressen. Und um die – jedes Jahr auf's Neue – wieder ein heftiger Streit entbrannt ist.

Erst vergangene Woche forderte der Landesfischereiverband Weser-Ems die Wieder-Eröffnung der Seehundjagd, die seit 1973 in Niedersachen verboten ist. Mindestens aber solle so etwas wie Geburtenkontrolle per Anti-Baby-Pillen praktiziert werden. Schließlich hätten sich die Seehunde ohne natürliche Feinde und mit Abschussverbot prächtig vermehrt.

Mit 6.200 Robben im niedersächsischen Wattenmeer wurde dieses Jahr in der Tat ein neuer Höchststand erreicht – während die Fischbestände entsprechend dezimiert sind. „Seezunge und Scholle gehen heute kaum noch ins Netz“, klagte zum Beispiel Wilhelm Th. Jacobs, der Vorsitzende des Landesfischereiverbands.

Jacobs' Thesen wollten die Naturverbände jetzt „nicht einfach so stehen lassen“, meint Siecke Martin vom WWF, die zusammen mit dem BUND, dem NABU (Naturschutzbund), dem Landesverband der Bürgerinitiativen Umweltschutz Niedersachsen und dem Niedersächsischen Heimatbund zum Gegenschlag ausholt. Denn: Nicht die Seehunde seien schuld am Schollen-Rückgang, sondern die Fischer, die ihre Plattfische selbst durch „jahrzehntelange Überfischung“ abserviert hätten.

Also: Fischer gegen Seehundfreunde. Mit jedem neuen Robben-Hoch wird der Streit noch ein biss-chen härter. Drei bis fünf Kilo Plattfisch verschlinge so ein Seehund am Tag, zählt Jacobs vom Landesfischereiverband die einzelnen Bissen nach. Hochgerechnet wären das mindestens 15.000 Kilo Fisch, die täglich vor der Niedersächsischen Küste statt in Fischnetzen in den Robbenmäulern landen.

„Die Fischer müssten sich doch an dem orientieren, was das Meer mit Seehunden hergibt“, ärgert sich WWF-Frau Martin. Und wenn nicht mehr viele Schollen da seien, dürfe eben nicht mehr abgefischt werden. Und überhaupt: WWF-Schätzungen zufolge gab es vor hundert Jahren etwa doppelt so viele Seehunde wie heute und auch ausreichend Nahrung – trotz Fischerei. Heute liegt der Wirtschafts-faktor ohnehin woanders: Jedes Jahr bereisen rund eine halbe Million Touristen die Seebänke.

Nicht wirklich dramatisch findet dagegen die Bundesforschungsans-talt für Fischerei den Streit Scholle gegen Robben. Das Institut in Hamburg weiß ziemlich genau, wie es um die Fischwelt in der Nordsee en detail steht. Und um Scholle und Seezunge, nein, da sehe es gar nicht sooo schlimm aus. „Das ist nicht dramatisch“, befindet Mitarbeiter Ulrich Damm. Der Bestand an Schollen sei zwar nur noch halb so hoch wie in den 80 Jahren. Aber die Flotten waren meist größer als die Kapazitäten. Schon seit Ende der 70er-Jahre wurden regelmäßig zu viel Schollen gefischt.

Die Fischer als die allein Schuldigen will Damm aber auch nicht stehen lassen: Zum einen spielten sicherlich klimatische Faktoren beim Rückgang der Plattfische eine Rolle. Schwankungen in Fisch-Populationen gebe es ohnehin immer. Zum anderen werden in den Netzen zu viele kleine Fische mitgefangen, die – selbst wenn sie gleich wieder ins Meer geworfen werden – diese Prozedur nur selten überleben. Dass dadurch der Nachwuchs wegbleibt, sei „der eigentlich ungesunde Punkt“.

Trotzdem ist Hoffnung in Sicht. „Nach unserer Prognose pendeln sich die Schollenbestände langsam wieder ein“, meint Damm. Das Kriegsbeil zwischen Fischern und Robbenfreunden könnte dann in den nächsten Jahren vielleicht begraben werden. pipe