„Ein gewisses Defizit an Beratungen“

In Eisenhüttenstadt betreibt die Wachschutzfirma BOSS die Zentrale Erstaufnahme für Flüchtlinge. Unabhängige Betreuung wird ihnen verwehrt

Schwere Vorwürfe gegen das Potsdamer Innenministerium und die Leitung der Zentralen Ausländerbehörde in Eisenhüttenstadt haben gestern der Flüchtlingsrat Brandenburg und Betroffene erhoben. Stein des Anstoßes: In der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Eisenhüttenstadt gibt es für die rund 400 Flüchtlinge keine unabhängige Beratung für das komplizierte Asylverfahren. Und in der zentralen Abschiebehaftanstalt des Landes, die sich – einzigartig in Deutschland – auf dem gleichen Gelände befindet, würden Besuche von Anwälten und Initiativen behindert.

„Hier wird die Flüchtlingsabwehr unter einem Dach reibungslos organisiert“, kritisiert der Flüchtlingsrat. Nicht einmal eine unabhängige Informationstafel über die Rechte und Pflichten der Asylbewerber durfte bisher in Eisenhüttenstadt aufgehängt werden. „Zu tendenziös“, befand das Innenministerium. „Man verhandele noch um einen Kompromiss“, sagt Tanja Neumann, Leiterin der Zentralen Ausländerbehörde.

Seit einem Jahr betreibt die Wachschutzfirma BOSS das Erstaufnahmelager in Eisenhüttenstadt. Gleichzeitig stellt BOSS auch das Wachpersonal im Abschiebeknast. Es herrsche „ein Klima der Angst“, sagt Elisabeth Ngo’Oum aus Kamerun. Die 40-Jährige kam Anfang November nach Eisenhüttenstadt. „Bei meiner Ankunft musste ich Formulare auf Deutsch ausfüllen, danach hat niemand mehr mit mir gesprochen.“ Obwohl Ngo’Oum eine deutsche Anwältin mit ihrem Asylverfahren beauftragte, wurde diese nicht von der Asylanhörung ihrer Mandantin informiert. „Das Protokoll wurde mir auf Deutsch vorgelegt. Ich weiß bis heute nicht, ob meine Antworten richtig übersetzt wurden“, sagt sie auf Französisch.

Dolmetscher gibt es in Eisenhüttenstadt nicht. „Das kann kein Mensch bezahlen“, verteidigt sich Neumann. Es gebe aber vier Sozialbetreuer für die rund 400 Flüchtlinge und die könnten sich in mehreren Sprachen verständigen. Neumann räumt aber ein, dass es ein „gewisses Defizit an Beratungen“ gebe.

„Die Betreuer redeten mit Händen und Füßen“, sagt Ibrahima Sari aus Sierra Leone. Der 19-Jährige ist schwer gehbehindert. Weil die Ausländerbehörde der Ansicht war, er verschleiere sein Herkunftsland, wurde Sari nach kurzem Aufenthalt im Sammellager für sechs Wochen in Abschiebehaft genommen. Dann ordnete das Landgericht Frankfurt (Oder) seine Freilassung mit der Begründung an, Abschiebehaft dürfe nicht als Beugehaft zur Erpressung von Informationen dienen. Sari war es gelungen, aus der Haft die Berliner Beratungsstelle Bayuma zu kontaktieren. „In Eisenhüttenstadt hat mir niemand geholfen.“

Wie schnell in Brandenburg Flüchtlinge in Abschiebehaft kommen, musste auch die vierköpfige afghanische Familie Amanullah erfahren. Bei ihrer Ankunft in Deutschland wurden sie im November in Potsdam auf der Straße festgenommen und musste eine Nacht in einer Arrestzelle auf dem nackten Steinfußboden schlafen. Der Vorwurf: „Illegale Einreise“. Dann wurde die Familie getrennt. Ein 14-jähriger Sohn wurde in ein Heim für minderjährige Flüchtlinge nach Fürstenwalde gebracht, sein 16-jähriger Bruder und die Eltern in die Abschiebehaftanstalt Eisenhüttenstadt. 14 Tage lang waren sie dort in Einzelzellen inhaftiert. Während dieser Zeit verhandelte die Ausländerbehörde offenbar mit Polen über eine Rückschiebung der Familie, scheiterte aber. „Am schlimmsten waren die ständigen Leibesvisitationen“, sagt der 52-jährige Familienvater.

Momentan befinden sich 79 Menschen, darunter ein 18-jähriger Afrikaner und 20 Frauen, in Abschiebehaft. Lediglich der Jesuitenflüchtlingsdienst aus Berlin darf sie betreuen. Mitglieder der Gruppe Ikiri beim alternativen Jugendcafé Olé in Eisenhüttenstadt, die seit einiger Zeit durch Besuche in der Haft und im Sammellager den Betroffenen Informationen und Kontakt bieten wollen, wurden mehrfach vom BOSS-Wachschutz schikaniert. HEIKE KLEFFNER