Die EU will gut regieren

Die Kommission in Brüssel legt ein Weißbuch mit Empfehlungen vor, die Bürger stärker an der Meinungsfindung zu beteiligen. Von Mitentscheiden ist jedoch nicht die Rede

BERLIN taz ■ Im Palazzo del Comune in Siena gibt es eine allegorische Darstellung der „Guten Regierung“. Friede, Stärke, Klugheit, Großmut, Mäßigkeit und Gerechtigkeit lauteten ihre Tugenden. Über 650 Jahre später hat nun die EU-Kommission versucht, Kriterien einer neuzeitlichen guten Regierung aufzustellen. Sie kommt auf nur fünf Schlüsselbegriffe – und die lauten auch ganz anders. Im gestern vorgestellten Weißbuch heißt es: Für gutes Regierungshandeln („Good governance“) sind „Offenheit, Bürgerteilhabe, Rechenschaftspflicht, Effektivität und Schlüssigkeit der Politik“ zuständig. Sehnt sich da einer nach Siena zurück?

Das Weißbuch ist eines der ganz großen Projekte, die sich Romano Prodi für seine erste Amtszeit vorgenommen hat. Die zunehmende Entfremdung zwischen Brüssel und den EU-Bürgern sollte durch eine „durchsichtigere“ Politik gestoppt werden. Doch als die ersten Entwürfe des Weißbuches in Brüssel kursierten, soll es bei Beamten zu vereinzelten Verzweiflungsausbrüchen gekommen sein. Denn ohne ein politologisches Wörterbuch waren die Forderungen kaum zu verstehen. Schon allein die Definition der „Good Governance“, ein Begriff aus der Debatte über Entwicklungshilfe, bereitete Schwierigkeiten. So heißt es in einem Arbeitspapier: „Governance auf mehreren Ebenen bedeutet, dass von einander unabhängige Akteure auf verschiedenen geografischen Ebenen zur Verwirklichung von Zielen von gemeinsamen Interessen zusammenwirken.“

Zusätzliche Schwierigkeiten brachte die Europarede von Bundesaußenminister Joschka Fischer im Mai letzten Jahres. Mit einem Mal wurde die Debatte über die Demokratisierung der EU viel breiter geführt, und eine Antwort hierauf erwartete man nun auch von der Kommission. Doch die spanischen Kommissare sollen sich geweigert haben, den Forderungen von regionalen Gesetzgebern nach mehr Kompetenzen nachzugeben. So tritt das Papier lediglich dafür ein, Regionen und Kommunen, aber auch gesellschaftliche Organisationen über Anhörungen stärker in den Brüsseler Prozess der Meinungsbildung miteinzubeziehen. Von Mitentscheiden ist nicht die Rede.

Der Vorteil dieser Forderungen Prodis ist, dass diese ohne eine Änderung der EU-Verträge möglich und daher relativ schnell umzusetzen sind. Die grundlegende Debatte über die Verfassung der EU wird dagegen erst beim EU-Gipfel im Dezember eingeleitet und vor 2004 kaum beendet werden. Wirklich in Erinnerung bleiben wird wohl nur eine Forderung des Weißbuches: Das Ziel Prodis, den Gesetzgebungsprozess der EU auf allen Ebenen öffentlich zu machen, dürfte in den nächsten Monaten für aufgeregte Debatten sorgen. Verwirklichungschancen hat freilich auch dies nicht. Schließlich würde die Umsetzung bedeuten, dass auch Regierungschefs und Minister ihre Beratungen nicht länger hinter verschlossenen Türen abhalten können. SABINE HERRE