So verdienen Sie am Eurochaos

von MARIUS ZIPPE

1. Setzen Sie auch beim Euro auf die Signalpreise mit der 9.

Preisstrategen und Verkaufspsychologen sagen: Waren mit „krummen“ Preisen sind in Deutschland kaum verkäuflich. Der Preis muss an einer verkaufsfördernden Neunerschwelle liegen. Das signalisiert: Diese Ware ist gnadenlos billig. Sie zweifeln? Das ist erlaubt, denn der Effekt ist nicht bewiesen. Trotzdem denken alle in diesem Muster. Deswegen sollten Sie auch nach der Euroeinführung an der alten Preisordnung festhalten. Sie haben aber ein Problem: Der Umtauschkurs von Mark auf Euro beträgt exakt 1,95583. Setzen Sie diesen Kurs an ihre Waren an, liegen die neuen Preise immer einige Prozent über dem nächsten Neunerpreis. Sie könnten abrunden? Tja, das kostet Sie dann Ihren Gewinn. Sie könnten aufrunden? Gut. Aber machen Sie das besser nicht erst in der Nacht zum 1. Januar. Dann stehen Sie ohnehin unter verschärfter Beobachtung Ihrer verunsicherten Kunden. Handeln Sie lieber schon jetzt.

2. Folgen Sie dem Trend.

Nehmen Sie sich ein Beispiel an einigen ihrer Konkurrenten. Die haben schon jetzt die Preise erhöht, um später lässig abrunden zu können. Das Kölner Institut für angewandte Verbraucherforschung (IFAV) hat herausgefunden, dass Waren, die mit Mark- und Europreisen ausgezeichnet sind, um durchschnittlich 4,4 Prozent teurer geworden sind. Bei der Untersuchung verfolgte das IFAV zwischen April und Juni die Preise von 1.200 Waren. In dieser Zeit kam es zu 100 Preiserhöhungen, die mit der Euroeinführung in Zusammenhang standen.

3. Merke: Wer jetzt die Preise erhöht, kann sie später gut wieder senken.

Das Nebeneinander von zwei verschiedenen Währungen bietet große Chancen, Ihr Geschäft zu beleben. Beispiel eins: Sie spekulieren auf einen „glatten“ Europreis, aber ihre DM-Preise sind dafür ungeeignet. Ein bekanntes Berliner Café am Brandenburger Tor macht vor, was zu tun ist. Hier wird für die nächsten Monate auf die typischen Mark-Preise verzichtet. Es sieht zwar ganz schön komisch aus, wenn der Café au lait plötzlich 9,78 Mark kostet. Aber am 1. Januar ist das Lokal aus dem Schneider, denn der Preis entspricht genau 5 Euro. Gegenüber dem alten Preis von 9,50 Mark ist die Preisanhebung zwar nicht umwerfend, aber die Masse macht’s. Beispiel zwei: Ohne sich gleich zu ruinieren, sind Sie großzügig und runden zur Währungsumstellung Ihre Preise ab. Ein Supermarkt macht es vor. Bis vor kurzem kostete die 0.7-Liter-Flasche Ouzo hier noch gewöhnliche 20,99 Mark. Nach einer Preisanhebung stand auf dem Preisschild plötzlich der ungewöhnliche Betrag von 21,51 Mark. Sie ahnen, was kommt? Gut. Der Preis entspricht 11 Euro. Auch dem größten Geizkragen fällt es jetzt leicht, den einen Cent noch abzuziehen. Die Flasche kostet 10,99 Euro und geht weg wie warme Semmeln. Außerdem tun Sie noch etwas für ihr Image, weil Sie den Preis abgerundet haben.

4. Verändern Sie Verpackungsgrößen und Stückzahlen.

Im Europäischen Verbraucherzentrum Kiel (EVZ) können Sie erfahren, wie das geht. Sybille Kujath, Rechtreferendarin im Haus, hat einige bizarre Beispiele gesammelt, wie sich Firmen vor der Euroumstellung aus der Affäre ziehen. Der Marmeladenhersteller Schwartauer hat zum Beispiel sein typisches 450-Gramm-Glas um ein Viertel verkleinert, ohne dass der Preis im selben Maße nach unten gegangen ist. Der Konzern beteuert zwar, sich mit dem kleinen Glas auf Singlehaushalte einzustellen, und rechtfertigt den Preis mit einem höheren Verpackungsaufwand. Sybille Kujath sieht aber eine verdeckte Preiserhöhung, die mit der Euroumstellung zu tun hat. Ähnliches hat sich auch der Kaugummiproduzent Orbit einfallen lassen. Während die Zehnerpackung der Zuckerlosen sonst für 0,99 Mark zu haben war, muss man jetzt gleich 12 Streifen kaufen, die 1,30 Mark kosten. Alles in allem eine Preiserhöhung um 9 Prozent pro Streifen. Und ganz wichtig: Der neue Preis lässt sich nach der Umstellung bequem auf 69 Cent aufrunden.

5. Nutzen Sie die goldene Zeit der doppelten Preise.

Andere haben da auch keine Skrupel, wie ein Beispiel im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel zeigt. Ein einschlägiger Pfennigmarkt, der sonst mit Preisen von 0,99 Mark an aufwärts wirbt, scheint die Preise gesenkt zu haben. Auf bunten Pappschildern prangt weithin sichtbar „0,55“. Was dagegen weniger auffällt, ist das kleine Eurozeichen in der unteren Ecke des Schildes. Wer nach der vermeintlichen Schnäppchenjagd erst an der Kasse bemerkt, welche Preise zu zahlen sind, wird ein Pokerface aufsetzen und alle Beträge zähneknirschend zahlen – denn wer will schon seine eigene Dummheit vor allen Leuten publik machen? Diese Scham sollten auch Sie ausnützen. Hängen Sie große Preistafeln auf, die mit sensationell günstigen Schnäppchen werben. Beschriften Sie die Schilder so, dass zunächst nicht auffällt, dass eigentlich Europreise gemeint sind. Und wenn sich doch jemand beschwert? Der hat schlechte Karten. Denn schließlich betreiben Sie vorausschauende Preispolitik und beweisen europäisches Denken.

6. Sie haben Vertragskunden? Dann können Sie frohlocken.

Gerade bei vertraglich an Sie gebundenen Kunden können Sie Ihre Konditionen ordentlich verbessern, ohne dass die Kunden eine Chance zum Ausstieg hätten. Halten Sie aber Maß. Eine EU-Verordnung schreibt ganz klar vor, dass Preise auf nächstliegende Centbeträge auf- oder abgerundet werden müssen. Führt die Umrechnung zu einem Preis, der in der Mitte liegt, dürfen Sie aufrunden. Pfennigfuchserei? Kommt drauf an. Der Mobilfunkbetreiber Viag Interkom hat die Zeichen der Zeit erkannt. Der häufig genutzte „Genion-Home-Zone-Tarif“ in der Nebenzeit, einstmals 5 Pfennig pro Minute, ist auf den ersten Eurorechnungen mit 3 Cent ausgepreist. Für den einzelnen nicht viel, aber für den Konzern immerhin eine satte Preissteigerung von etwa 17 Prozent in diesem Tarif. Rechtlich ist das wasserdicht, denn die Rundungsregeln wurden befolgt. Ein Sonderkündigungsrecht tritt nicht in Kraft. Den Kunden bleibt nur die ordentliche Kündigung. Aber die kündigen schon nicht wegen dieses läppischen halben Cents. Die werden anstandslos zahlen – wenn sie Ihre kleine Aufrundung überhaupt bemerken.