KENNZEICHNUNG FÜR DIE ZUTAT DER ZUTAT MUSS SEIN – ABER NICHT SOFORT
: Genfood schließt den Magen

Nur eine Nacht lang konnten Umwelt- und Verbraucherschützer feiern. Denn was EU-Kommissar Byrne am Mittwochabend auf den Weg gebracht hatte, war eine Revolution in Stall und Supermarkt. Künftig sollte auf jedem Produkt stehen, ob Gentech drin ist. Und zwar so genau wie möglich: Die neue Regelung sollte auch für die Zutat der Zutat gelten – also beispielsweise für das Lecithin in der Schokolade. Die zweite Bestimmung ging noch weiter: Selbst Fleisch, Milch und Eier von Tieren, die genmanipuiertes Futter fressen, sollten den Stempel „Gentech“ erhalten.

Jetzt hat die Kommission noch einmal geschlafen. Dabei ist ihr wohl aufgegangen, was sie angerichtet hat. Denn diese Regelung wäre nichts anderes gewesen als die Ökorevolution im Hier und Jetzt: Gentech-freies Futter können bisher nur die Biobetriebe garantieren, die ihr Futter selbst erzeugen oder die Erzeuger kennen. Die Mehrheit der Bauern ist beim Futternachschub abhängig vom Weltmarkt: Dass Soja, Mais und Raps beim Anpflanzen, Ernten und Transportieren nicht mit den inzwischen allgegenwärtigen Gensorten in Kontakt kommen, das kann niemand garantieren. Daher hätte auf allen Eierkartons, Milchtüten und Fleischverpackungen der berüchtigte Stempel „genmanipuliert“ stehen müssen. Da das in Europa kaum ein Verbraucher akzeptieren würde, wären die Agrarmärkte zusammengebrochen. Gegen dieses Szenario war die Rindfleischkrise nach dem BSE-Skandal nur ein Witz.

Öko sofort klappt also nicht. Nötig sind stattdessen kurze Übergangsfristen für die Kennzeichnung. Denn Umweltschützer und Verbraucher wollen zu Recht wissen, was in den Lebensmitteln steckt. Die Verbrauchermacht bleibt Gerede, wenn die Informationen für den bewussten Einkauf fehlen. Und nur wenn vollständig gekennzeichnet wird, ist der Druck auf Landwirte und Futtermittelindustrie so groß, dass sie nach Alternativen suchen und massiv auf heimische und ökologische Produkte umstellen.

Mittelfristig zwingt die Kennzeichnung dazu, endlich die riesigen Viehbestände zu reduzieren. Denn sie sind nur mit dem billigen, weil resistenten gentechnisch veränderten Massenfutter zu ernähren. Hier ist dann auch wieder der Verbraucher gefragt: Er muss signalisieren, dass er für gutes Fleisch mehr ausgeben will und dass er gleichzeitig bereit ist, davon weniger zu konsumieren. Was nicht nur der Umwelt und den Entwicklungsländern weiterhelfen würde – sondern auch unserer eigenen Gesundheit. Diese Einsicht ist uns jahrelang nicht in den Kopf gegangen. Vielleicht geht sie ja durch den Magen – aus Angst vor dem Genfood.

BERNHARD PÖTTER