Weiter Hassliebe zu Studiengebühren

Sozialdemokratische und grüne Hochschulpolitiker versichern, dass sie keine Studiengebühren wollen. Und rätseln darüber, wie die neue Haltung der Bundesregierung zum bezahlten Studium nun eigentlich ist

BERLIN taz ■ Der Koalitionspartner und auch Parteifreunde waren überrascht. Nachdem Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) am Vortag erstmals Verständnis für Studiengebühren geäußert hatte, liefen bei Rot und Grün in den Ländern gestern die Telefone heiß: War da in einem ZDF-Interview am Mittwoch morgen eine neue Linie der Bundesregierung in Sachen Uni-Gebühren verkündet worden?

Am schärfsten gingen die Grünen mit dem gebührenfreundlichen Kabinettsmitglied ins Gericht. „Diese Position ist mit uns nicht abgestimmt“, sagte der bildungspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Reinhard Loske, der taz. Es sei „unangemessen und verwirrend“, jetzt eine Botschaft „pro Gebühren für Langzeitstudierende“ auszusenden, wie es Bulmahn getan habe. „Unser momentanes Problem ist doch, dass wir zu wenig Studierende und vor allem zu wenig Studierende aus geringverdienenden Familien haben.“ Loske betrachtet Bildungsgutscheine für das bessere Mittel der Studienverkürzung – die hielten zu zügigen Studium an und stärkten die Nachfragerposition der Studis.

In Baden-Württemberg muss seit 1998 pro Semester 1.000 Mark bezahlen, wer seine Regelstudienzeit um vier Semester überschreitet. Das Bundesverwaltungsgericht hatte dies am Mittwoch für rechtens erklärt.

Kritisch äußerte sich auch der Koordinator der SPD-Länder in Hochschulangelegenheiten, Jürgen Zöllner. „Das Baden-Württemberger Gebührenmodell ist der Einstieg in echte Studiengebühren“, sagte der rheinland-pfälzische Wissenschaftsminister. Er sei unglücklich „dass wir nicht die Kraft gefunden haben, das Gebührenproblem politisch zu lösen“, sagte Zöllner der taz. Die rot-grüne Bundesregierung hatte bei ihrem Amtsantritt angekündigt, eine Bund-Länder-Vereinbarung zum Verbot von Uni-Gebühren zu erreichen.

Das Bundesbildungsministerium beeilte sich unterdessen, die Haltung seiner Ressortchefin klarzustellen. Die Ministerin sei missverständlich zitiert worden. Sie sei nach wie vor gegen Studiengebühren im Erststudium. Im Wortlaut hatte Bulmahn im ZDF zu den Langzeitgebühren gesagt: „Mit Baden-Württemberg habe ich keine Probleme.“ Laut Mitschrift des Interviews, die der taz vorliegt, sagte sie weiter: „Ich bin der Auffassung, dass das Erstudium gebührenfrei bleiben sollte in einer angemessenen Zeit. Das heißt eben auch: Regelstudienzeit plus vier Semester.“

Keine Gnade findet der Kurswechsel bei den Studierenden. „Wir trauen Bulmahn keinen Millimeter über den Weg“, sagte ein Sprecher des Studentendachverbandes fzs. Die Linke Radikale Liste meinte in Anspielung auf den Gebührenfan, den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Teufel: „Bulmahn ist vom Teufel besessen.“ Und der Bonner „Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen“ ärgertsich. Wenige Tage nach Bekanntgabe der miserablen akademischen Chancen von Geringverdienerkindern werde eine Strategie „der salamitaktischen Akzeptanzbeschaffung für Studiengebühren“ angewandt.CHRISTIAN FÜLLER/JULIA WESSELOH