Der Aufgestiegene

Den Armen verspricht er Arbeit und Wohlstand, den Unternehmern niedrige Steuern und Stabilität

von INGO MALCHER

Die Haare sind kürzer, die Kleidung seriöser und seine Reden defensiver als noch zu Wahlkampfzeiten. Alejandro Toledo ist endlich dort angekommen, wo er seit 1995 hin will: im Präsidentenpalast. Und das, obwohl über seine erste Ankündigung zur Kandidatur gegen Fujimori nicht wenige im Land gegrinst haben, obwohl ihn die Anti-Fujimori-Opposition zunächst belächelt hat, obwohl alle unterschätzt haben, wie viel Energie, Verbissenheit und Kampfeswillen Toledo aufbringen würde.

Seit seiner Wahl im Juni tingelt er durch die Welt, um die ganz Großen des politischen Geschäfts kennen zu lernen. Egal ob Buenos Aires oder Berlin, Washington oder Paris, überall versucht er einen staatsmännischen Eindruck zu hinterlassen. Ein fester Händedruck mit US-Präsident George W. Bush, ein kumpelhafter Schulterklopfer von Jacques Chirac signalisieren: Wir sind mächtige Männer, wir verstehen uns. Willkommen im Club.

Toledo war der Kandidat, auf den sich alle verständigen konnten. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank sahen in ihm den Garanten dafür, dass Peru seinen Schuldendienst ohne Unterbrechung leistet. Zu diesem Zweck hat er den neoliberalen Technokraten Pedro Kuczynski als Minister für Wirtschaft und Finanzen ins Kabinett berufen. Die USA sahen in Toledo den Garanten dafür, dass Peru sich in der Außenpolitik nicht mit Brasilien und Venezuela ins antinordamerikanische Boot setzt. Mit Toledos Gegner Alan García wäre das gut möglich gewesen. Und die Peruaner? Sie hatten schlicht keine andere Wahl. Die Erinnerung an Garcías Präsidentschaft von 1985 bis 1990 ließ so manchem einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Immerhin litt das Land damals an Hyperinflation, Korruption war Alltag. So gesehen, war Toledo der einzige wählbare Kandidat.

Wie sich die Zeiten ändern. „Der Chinese nach Japan, der Cholo auf den Thron“, riefen Toledo im Wahlkampf gegen Alberto Fujimori im April 2000 abertausende Demonstranten zu. Mit „Cholo“ war Toledo gemeint, der Dunkelhäutige aus armen Verhältnissen, der seine Indigena-Wurzeln für sich zu nutzen wusste. Der „Chino“ war der autoritäre Präsident Alberto Fujimori, der als Sohn japanischer Einwanderer in der Umgangssprache zum „Chino“ wurde. Fujimori war kein Trick zu schmutzig, um an der Macht zu bleiben. Doch Toledo nahm den Kampf auf, ernannte sich zum Oppositionsführer und stilisierte sich zum demokratischen Gewissen Perus. „David hat auch gegen Goliath gewonnen“, sagte er, um sich selbst Mut zu machen. Heute ist die Forderung der Demonstranten von damals in Erfüllung gegangen. Ab Samstag sitzt der „Cholo“ auf dem Thron. Fujimori ist schon seit längerer Zeit in Japan.

Toledos wildes Rebellentum gegen das verknöcherte Fujimori-Regime war der Auslöser für den Wechsel. Insofern ist es nur gerecht, wenn Toledo jetzt Präsident wird. Aber er vereint viele Widersprüche in sich. Um Sympathien zu gewinnen, zieht er regelmäßig die ethnische Karte: „Ich bin der erste Präsident, der indigene Wurzeln hat“, sagt er, wickelt sich ein buntes Stirnband um die Ohren und hüllt sich in einen Andenponcho. Daneben steht Toledos zweites Ich: der Standford-Absolvent und der ehemalige Weltbankbeamte, dem der Maßanzug ebenso passt wie der Poncho, und dem eine strenge Haushaltspolitik so wichtig ist wie der Bau eines neuen Gesundheitszentrums. Die Frage ist: Welcher der beiden Seiten wird der Präsident Toledo Priorität einräumen?

Im April 2000, als Toledo gegen Fujimori antrat, war sein Wahlkampfhauptquartier so provisorisch wie seine Partei Peru Posible („Peru ist möglich“), die nicht mehr ist als eine bunt zusammengewürfelte Wahlliste ohne politische Koordinaten. In einem Wohnhaus standen einige Tische mit Computern und Telefonen, die Wände waren kahl, in den Regalen stapelten sich Toledo-Poster. In einem Hinterzimmer bereitete er sich auf einen öffentlichen Auftritt vor. Er trank warmes Wasser, weil das die Stimme schont, und zog sich eine kugelsichere Weste unter den Wildlederbluson. Seine Frau Eliane Karp packte noch einen Helm unter den Arm. Reine Show? „Nein, wir bekommen regelmäßig Drohungen“, erwiderte Toledo. Der kleine Mann war eine Gefahr für Fujimori und musste daher mit allem rechnen.

Eine Stunde später standen Karp und Toledo auf der Ladefläche eines Dodge-Pick-up-Jeeps, der durch Lima fuhr. Der Jeep schaukelte über die Schlaglöcher der Straße, Toledo hielt sich mit der einen Hand am Dach der Fahrerkabine fest, mit der anderen winkte er seinen Anhängern am Straßenrand zu. Er lächelte. „Es ist immer ein Erlebnis zu sehen, wie die Leute mich feiern“, brüllte er während der Fahrt.

„David hat auch gegen Goliath gesiegt“, sagte sich Toledo, als er gegen Alberto Fujimori antrat

Der Wagen stoppte. Toledo und Karp sprangen von der Ladefläche. Eine Gruppe Vertrauter mit dunklen Regenjacken und Baseballmützen nahm die beiden in ihre Mitte und schob sie durch die Menge. Hunderte von Anhängern wollten Toledo und seine Ehefrau einmal zu Gesicht bekommen. Es wurde gedrückt, geschoben, manchmal auch getreten. Ein schweißtreibender Job. Auf der Bühne dann das Toledo-Ritual, das peruanische Zeitungen „Liebesakt mit dem Volk“ nannten. Toledo breitete seine Arme aus, legte den Kopf in den Nacken, als wollte er einen Sonnengott anbeten. „Toledo Presidente“ schallte es ihm dabei rhythmisch entgegen. Mehrere solcher Mammutveranstaltungen absolvierte er pro Tag, stets rannte er von der einen Bühnenseite zur anderen, war aufgedreht, als hätte er Drogen genommen. Im Gegenzug wurde er als neue Hoffnung Perus gefeiert. Und das liebt er bis heute.

Die Verehrung seiner Person ist sein Sauerstoff, eine vollbesetzte Plaza sein Vitamin. Er braucht den Kult um sich selbst als Streicheleinheit – er will geliebt werden um jeden Preis. Deshalb sagt er den Peruanern auch, was sie hören wollen. Den Armen verspricht er Arbeit und Wohlstand, den Unternehmern niedrigere Steuern und Stabilität. In den ersten hundert Tagen seiner Amtszeit will er die Abgaben für Unternehmen kürzen und ein Sofortprogramm gegen die Armut auf den Weg bringen. Weniger Einnahmen, mehr Ausgaben. Ein Widerspruch? „Wir sind dazu verdammt, Erfolg zu haben“, sagt er. Eine andere Wahl hat er nicht.

Vielleicht ist er deshalb zahmer geworden und weniger selbstherrlich. Überzeugende Antworten darauf, wie es weitergehen soll, hat er wenige. Es bleibt bei Worthülsen, wenn er sie inzwischen auch gut zu formulieren versteht. Eine Sache ist es, in langen Reden Fujimori einen Diktator zu nennen, eine andere, Peru zu regieren. Ein Land, in dem die Hälfte der Bevölkerung als arm eingestuft wird und mit weniger als 1,25 Dollar pro Tag auskommen muss. Ein Land, das seit drei Jahren wirtschaftlich nicht vom Fleck kommt. Ein Land, das mit 34 Milliarden Dollar hoch verschuldet ist. Toledo weiß, dass ihm als Präsidenten die Hände gebunden sind und dass er keine Wunder vollbringen kann.

Auch wenn er das gerne könnte. Einen Tag nach seiner Vereidigung will er sich noch einmal feiern lassen. In den historischen Ruinen der Inkafestung Machu Picchu wird die Vereidigungszeremonie am Sonntag im Beisein von 400 Staatsgästen wiederholt. Machu Picchu war einst das Reich des Inkakönigs. Jetzt wird Toledo der neue König Perus.