Rasante Abschiebung

Freigelassene Demonstranten müssen Italien sofort verlassen. Zwei Ermittlungsverfahren gegen die Polizei haben inzwischen begonnen

ROM taz ■ „Hart, aber positiv“ – diese Bilanz zog Italiens Polizeichef Gianni De Gennaro für die von ihm befehligten Einsätze in Genua. Prima haben seine Truppen das gemacht – und da gibt es natürlich schier gar nichts zu untersuchen, außer vielleicht „individuelle Missgriffe“ einzelner Beamter. Und deren Aufklärung betreibt De Gennaro am liebsten selbst.

Dass andere ihre Nase in die Ereignisse von Genua stecken, hält auch die Regierung für völlig überflüssig. Der von der Mitte-links-Opposition im Abgeordnetenhaus eingebrachte Antrag auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses wurde gestern von den Rechtsparteien im Ausschuss für Verfassungsfragen bereits abgeschmettert.

Die Regierung hat gute Gründe zu mauern. Reihenweise werden mittlerweile die Festgenommenen von den Untersuchungsrichtern auf freien Fuß gesetzt, in den meisten Fällen wegen des Fehlens jeglicher Verdachtsmomente. Und reihenweise berichten die Freigelassenen von den unglaublichen Umständen während der Festnahmen und später in Polizeigewahrsam. Die Ausländer unter ihnen haben allerdings keine Gelegenheit, in Italien ihre Aussagen zu machen: Sie werden sofort als „unerwünschte Personen“ abgeschoben. Vorgeworfen wird ihnen von der Regierung „Gemeingefährlichkeit“ – ein Vorwurf, der sonst gegenüber Mafiosi, Terroristen und Waffenschiebern erhoben wird.

Die Staatsanwaltschaft Genua hat mittlerweile zwei Ermittlungsverfahren gegen die Polizei eingeleitet: Eines untersucht den Einsatz während der Demonstrationen, das zweite den Sturm auf das GSF-Zentrum. Werden diese Ermittlungen ernsthaft geführt, dann machen sie kaum bei einzelnen Beamten Halt. Es ist bezeichnend, dass sowohl bei dem nächtlichen Sturm als auch in der Polizeikaserne, in die alle Festgenommenen verbracht wurden, zentral aus Rom kommandierte Einheiten eingesetzt wurden und dass der Einsatzleiter der nächtlichen Prügelorgie einer der höchsten Polizeifunktionäre des Landes ist. Wohl aus diesem Grund verweist die Staatsanwaltschaft die Ausländer sofort des Landes, lässt sie die Genueser Redaktionsräume der Tageszeitung La Repubblica durchsuchen, weil das Blatt ein Verhörprotokoll des Todesschützen von Genua veröffentlicht hat.

MICHAEL BRAUN