Lass Juhnke seinen Schnaps

■ St. Paulis morgiger Gegner Hertha BSC will Meister werden. Oder wenigstens Dritter

Als Neu-Hamburger und Ex-Berliner ist man St.-Pauli-Fan. Denn im Fußball verbindet die Leidensfähigkeit. Doch spätestens am Sonntag um 17.30 Uhr wird das Mauerkind „Weg mit der Frikadelle. Gib mir ne Bulette. Jawoll, ne Bulette und ein Schultheiß“ grölen, und der dünne hanseatische Lack ist ab. Denn dieses Jahr wird Hertha Meister. Der Trainer Jürgen Röber hat es versprochen, und Röber wird es richten. Na gut, er spricht nur von Platz drei. Aber unser Mittelfeld-As Stefan Beinlich hat es gesagt, und Beinlich wird es richten. Berliner glauben auch, dass Harald Juhnke trocken ist. Jedesmal.

Obwohl Hertha BSC ein Westberliner Phänomen ist, lässt es sich trefflich ostdeutsch jammern. Was haben wir gelitten. Und manchmal mussten wir zu Blau-Weiß 90, und das zählt extra. Dann die gefürchteten Reisen nach Westdeutschland: „Habt ihr überhaupt Fußbälle?“, durfte jeder Dorftrottel zu Recht fragen. „Nein, haben wir alle über die Mauer geschossen“, wurde trotzig geantwortet. Wir haben den Meistertitel eigentlich nach siebzig Jahren wieder verdient.

Nicht zu vergessen die Stunde Null der Berliner Identität: Mauer weg, Berlinzulage weg, zur Bundeswehr, und kein Verein, der eine Lösung bot. Trotz Diepgens Forderung: „Eine Hauptstadt braucht einen erstklassigen Fussballverein“, und der Diskussion, ob man we-nigstens einem Berliner Klub per Gesetz einen Platz in der Bundesliga sichern sollte, dümpelte die Weddinger Traditionshertha in der zweiten Liga vor sich hin.

Verirrte man sich dann doch einmal ins Olympiastadion, dann standen dort 200 Figuren, die sich mit pfiffigen Anfeuerungen „Ha Ho He“- und dann wahlweise „Hertha BSC“, „Hertha ist OK“, oder lustig „der Meister von der Spree“ erschöpften. Merkwürdigerweise war man immer davon überzeugt, dass Hertha es eines Tages noch zu etwas bringen würde. Natürlich nicht zu Lebzeiten. Doch wer hat in den dunklen Zeiten zu Hertha gehalten? Selbstverständlich niemand. Wer sieht schon gerne Verlierern zu.

Die gute alte Tante Hertha. Die Verwandte, die man jetzt wieder ganz gerne besucht, weil sie zu Geld gekommen ist. Wobei niemand so recht weiß, wie. Haben die Amateure schwarz den Potsdamer Platz gebaut? Wo sind die vier Milliarden des Bankenskandals wirklich hin? 110 Millionen lässt sich Hertha dieses Jahr die Bundesliga kosten, davon 30 Millionen allein für Neueinkäufe.

Initiator des Wirtschaftswunders an der Spree ist Dieter Hoeneß. Der Bruder mit dem Kopfverband. Doch auch der spricht nicht von Meisterschaft. Warum? Mit Marcelinho hat man einen Brasilianer, der Fußballspielen kann und Alex Alvez hat goldene Töppen. So sagt man bei uns für Buffer. Liga-Pokal gewonnen, Beinlich wieder fit, Sebastian Deisler noch nicht in München und Michael Preetz so schön wie eh und je: Die Zeichen sind deutlich.

Und während sich die Hamburger abwenden, fällt der wiedergeborene Berliner auf die Knie und reckt den blau-weißen Schal in den Himmel: „Herr, mach das Hertha Meister wird. Und lass Juhnke seinen Schnaps.“ Philipp Sidhu