Genua erreicht Berlin

Innerhalb von nur einer Woche findet heute die dritte Demonstration aus Protest gegen die Genueser Polizeieinsätze statt. Brandanschlag auf Polizeiwache in Treptow. Innensenator Körting verteidigt Ausreiseverbot von potenziellen Gipfel-Störern

von RICHARD ROTHER
und CHRISTIAN TERIETE

Der Stadt steht möglicherweise ein heißes Wochenende bevor – auch unabhängig vom Wetter. Innerhalb von nur einer Woche wird heute die dritte Demonstration aus Protest gegen die harten Einsätze der italienischen Polizei in Genua stattfinden. Nach rund 1.000 Teilnehmern am Donnerstagabend rechnen die Veranstalter vom Berliner Bündnis gegen den Weltwirtschaftsgipfel heute mit 3.000 bis 4.000 Demonstranten. Start ist um 13 Uhr am Kreuzberger Oranienplatz. „Es gibt eine große Wut über die brutalen Polizeieinsätze“, sagte gestern eine Bündnis-Sprecherin.

Für zusätzliche Aufregung in der Szene dürfte die Rückkehr der in Genua Festgenommenen sorgen. Diese berichten von schweren Misshandlungen durch die italienischen Carabinieri. Möglich sei, dass sich Teile der Antiglobalisierungsbewegung aufgrund der Vorkommnisse radikalisierten, sagte gestern der Grünen-Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, der auf der heutigen Demonstration sprechen wird. Ströbele war in den vergangenen Tagen in Genua, um sich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen. „Was ich dort gesehen habe, hat mich an lateinamerikanische Diktaturen erinnert.“ So seien Festgenommene grundlos so zusammengeschlagen worden, dass sie nun mit schweren Verletzungen in Krankenhäusern lägen. Zudem hätten Gefangene stundenlang mit erhobenen Händen an einer Wand stehen müssen.

Radikale Berliner Globalisierungsgegner machen deutsche Behörden dafür offenbar mitverantwortlich. In der Nacht zum Mittwoch warfen Unbekannte die Scheibe einer Filiale der Berliner Volksbank ein. Dabei hinterließen sie ein Graffito: „Genua-Bullen sind Mörder“.

In der Nacht zu gestern ereignete sich ein weiterer Anschlag. Unbekannte warfen einen Molotowcocktail auf eine Polizeiwache in Treptow. Der Sachschaden blieb gering, verletzt wurde niemand. Zu einem möglichen Zusammenhang mit den G-8-Protesten wollten sich Polizei und Innenverwaltung gestern nicht äußern. Auszuschließen ist ein solcher Zusammenhang jedoch nicht. Die Sicherheitslage in der Stadt jedenfalls werde intensiv beobachtet. „Die Sicherheitsbehörden sind sensibilisiert“, sagte gestern eine Sprecherin der Innenverwaltung.

Für Unmut in der Szene hatten auch die Ausreiseverbote von vermeintlichen Anti-G-8-Demonstranten gesorgt. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) verteidigte diese Maßnahmen im taz-Interview. „Es gab den erheblichen Verdacht, dass sich diese Leute an Gewalttätigkeiten beteiligen würden.“

Die Vorgänge in Genua bezeichnete der Innensenator als „schreckliche Spirale der Gewalt“. Körting hält eine Untersuchung und Aufklärung der Ereignisse in der ligurischen Hauptstadt für „dringend erforderlich“. Dies sei allerdings Sache der italienischen Behörden und des italienischen Parlaments.

Am Donnerstagabend hatten rund 1.000 Globalisierungsgegner am Hackeschen Markt gegen Polizeigewalt und die Kriminalisierung ihres Protestes demonstriert. Schon kurz vor Beginn des Zuges kam es zu einem Handgemenge zwischen Demonstranten und Ordnungshütern. Die Menge reagierte mit wütenden „Mörder!“-Rufen. Im Verlauf der Demonstration wurden Polizisten auch als „Faschisten“ und „Nazischweine“ beschimpft.

Der Veranstalter, eine „Initiative gegen Polizeigewalt“, verurteilte die Erschießung Carlo Giulianis und die Ausübung von Gewalt gegen andere Globalisierungsgegner durch italienische Polizisten in Genua. Viele Demonstranten hatten sich Zielscheiben auf die Kleidung geklebt, einige trugen Porträts des jungen Italieners. Die Stimmung war äußerst gespannt. Sobald Polizei in Aktion trat, erhob sich lautstarker Protest.

Ein Demonstrant wurde festgenommen, fünf weitere müssen mit Anzeigen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz beziehungsweise wegen Körperverletzung, Widerstands gegen die Staatsgewalt und Beleidigung rechnen.

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